Interview

Yungblud im Interview: „Dieses Album hat mich wirklich geheilt“

Ein Gespräch über persönliche Veränderungen und warum ihm das deutsche Publikum so am Herzen liegt.

„Ich fühle mich so gut. I’m vibing“, strahlt Yungblud, als er sich aus New York ins Interview einwählt. Der „rotten Apple“ ist Teil seiner Promotour für das neue Album, das am 20. Juni erschienen ist. Was im Herbst folgen wird, ist die größte Tour seiner Karriere. „Es ist krass“, sagt er. IDOLS sei ein besonderes Album, betont der britische Rockstar, denn es markiere eine Kehrtwende, musikalisch als auch persönlich. „Der erste Abschnitt von Yungblud als Künstler ist vorbei. Dieses Album ist der Schritt in ein neues Kapitel, worum es in meiner Kunst geht, und wie ich sie schreibe.“ Er wollte etwas völlig Zeitloses schaffen, sagt der 27-Jährige. Form- und kompromisslos, ohne die kommerziellen Beschränkungen, die Musik mittlerweile allzu oft „schnelllebig und fade“ mache. „Ich habe das Gefühl, dass ich mich wirklich grundlegend verändert habe. Bei der letzten Album-Kampagne wussten die Leute genau, was sie von mir erwarten konnten und was Yungblud war. Die Zeit ist jetzt vorbei.“

Denn fortan möchte Yungblud die Geschichten und Hintergründe zu seinen Songs nicht mehr preisgeben, sondern die Musik für sich sprechen lassen. „In der Vergangenheit habe ich sehr spezifische Songs geschrieben. Das war eher unerfahren, denn ich war jung und voller Wut. Das Wichtigste, was ich als Songwriter gelernt habe, ist, ein bestimmtes Ereignis so vieldeutig darzustellen, dass es um allgemeingültige menschliche Aspekte geht. Wenn du es dir also anhörst, geht es um etwas völlig anderes in deinem Leben als in meinem; aber wir sind als Menschen verbunden, obwohl wir völlig unterschiedlich sind. Ich glaube, dass die Welt jetzt ein Album wie dieses braucht, weil es Unterschiede feiert und Menschen zusammenbringt.“

Auf persönlicher Ebene war IDOLS die „befreiendste Erfahrung“ seines Lebens, sagt Yungblud. „Es ist ein Album der Selbsterkenntnis darüber, wer ich jetzt bin. Natürlich war das auch beängstigend und seltsam.“ IDOLS thematisiert, was er als rising idol mittlerweile selbst erlebt hat: Heldenverehrung und die Idealisierung – oft fernab der Realität – mit wenig Spielraum für Selbstentfaltung. „Man wird nicht als Mensch gesehen. Die Leute lieben dich oder hassen dich. Man muss sich mehr denn je rechtfertigen, wenn man einfach nur Mensch sein will. Genau darüber habe ich dieses Album geschrieben. Wir alle machen uns ein Bild von Menschen und Dingen in unserem eigenen Kopf, anstatt uns der Realität zu stellen. Sich ständig vor den Leuten rechtfertigen zu müssen, ist hart. Ich musste mich mit mir selbst auseinandersetzen und Barrieren und Mauern einreißen, weil ich gar nicht gemerkt habe, wie sehr es mich beeinflusst hat, dass Leute sich eine Meinung über mich bilden konnten, obwohl sie mich überhaupt nicht kennen. Man lässt sich verunsichern durch Dinge, von denen man nicht einmal wusste, dass sie im eigenen Kopf exis­tieren.“ Voreingenommenheiten seien ein unangenehmer Nebenaspekt seiner Karriere, erklärt Yungblud. Denn mit dem Ruhm kamen manchmal auch konfrontative Erfahrungen. „Ich musste dieses Album für mich machen, weil ich nicht mehr wusste, wer ich war. Ich fand es schwer, mit Leuten umzugehen, die für mich über mich sprachen. Es gab eine Menge Negativität. Vieles war nicht einmal wahr, aber ich hatte keine Kontrolle darüber.“

Heute könne er besser mit Reaktionen umgehen und habe sich mit dem Gedanken angefreundet, keine Macht darüber zu haben, was andere über ihn denken. „Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich ehrlich sagen, dass es mir egal ist, was andere denken. Ich mache einfach mein Ding. Ich glaube, dieses Album hat mich wirklich geheilt, und es ist ein gutes Gefühl. Ich lebe mein verdammtes Leben und mache, was ich will, und ich liebe es. Das war nicht immer so. Dieses Album hat mir etwas gegeben, das ich kontrollieren konnte. Es war befreiend.“

Antrieb dafür fand er auch durch Gespräche mit Musikern wie Billy Corgan von den Smashing Pumpkins und Lewis Capaldi, die ihn ermutigt haben, „wirklich zu singen“. „Lewis ist ein guter Kumpel von mir, und wir waren auf unserem Weg immer sehr verbunden. Wir haben schon zusammen abgehangen, bevor wir beide unter Vertrag genommen wurden. Wir können wirklich offen miteinander sein. Ich kann mich glücklich schätzen, jemanden wie Lewis in meinem Leben zu haben.“

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Ursprünglich kommt Yungblud aus einem kleinen Ort namens Doncaster im Nordosten Englands, lebt mittlerweile aber in London, nicht weit entfernt vom Herz der Indie- und Rock-Szene in Camden. „London ist genau mein Ding. Ich verbringe viel Zeit dort.“ Für IDOLS zog sich Yungblud aber in den Norden Englands zurück – zusammen mit seiner Familie und seinen besten Freunden. Auch musikalisch war es „back to the roots“. „Ich habe mit HipHop, Poptunes und anderen Dingen experimentiert, aber ich bin ein Rocksänger. Ich liebe Rockmusik. Damit bin ich aufgewachsen; erst damit werde ich richtig lebendig.“ Kooperationen mit Travis Scott oder Lil Uzi Vert schließt er trotzdem nicht aus. Ebenso eine Zusammenarbeit mit Aerosmith oder Ozzy Osbourne. „Ich habe das Gefühl, dass Rock und HipHop das Gleiche sind, nur aus der Perspektive einer anderen Kultur. Es ist ein Gefühl der Freiheit aus zwei verschiedenen Blickwinkeln, und das ist verdammt cool.“

Vorerst konzentriert er sich aber auf die bevorstehende Tour. „Ich liebe es, mit Menschen in Kontakt zu sein, und auf Tour kann ich das tun.“ Vor Auftritten wird er immer noch nervös, gibt er zu. Gleichzeitig träumt Yungblud davon, jede Nacht in einem großen Stadion zu spielen. „Das ist es, was ich immer machen wollte.“

Das deutsche Publikum nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein. Vier Konzerte sind in auf deutschem Boden eingeplant. „Deutschland war eines der ersten Länder, das mich je verstanden hat. Deutschland versteht Rock, und ich liebe ein Rockpublikum, das aufdreht, laut singt und voll bei der Sache ist. Ich werde nie die erste Tour vergessen, als wir im Blue Shell in Köln gespielt haben. Wir hatten zum ersten Mal das Gefühl, es zu schaffen, als wir in diesen echt kleinen Locations gespielt haben. Wir waren voll aufgeregt. Ich kann kaum erwarten, wiederzukommen und dieses Mal in riesigen Hallen zu spielen.“

Bevor er zur großen Tour aufbricht, steht in England die zweite Ausgabe seines eigenen Festivals Bludfest an, mit dem er Live-Musik wieder erschwinglich machen und ein Zeichen gegen horrende Ticketpreise setzen möchte. „Als ich in Amerika spielte, gab es einen VIP-Bereich, der komplett leer war, während draußen 500 Kids standen, die sich den Eintritt nicht leis­ ten konnten. Ich konnte spüren, wie die Ticketpreise außer Kontrolle gerieten, ohne dass ich es beeinflussen konnte. Die Einzigen, die verarscht werden, sind die Zuschauer. Da muss etwas unternommen werden. Ich glaube, manche Festivals und Booking Agents, vor allem in meinem Heimatland, nehmen mich nicht ernst, weil ich unkonventionell bin oder sie meine Idee nicht verstehen. Deshalb möchte ich etwas Neues schaffen, eine neue Bewegung und eine neue Idee für die moderne Zeit.“

Nächstes Jahr möchte er das Bludfest auch nach Deutschland bringen.

Interview: Ruth Heer