Warum jetzt wieder überall weißer Spaß-Rap läuft
Shirin David orientiert sich an Sonya Kraus, Princess Superstar und Eminem – mit diesem Ergebnis.
Drei Beobachtungen:
1. wehrt euch, leistet widerstand…
Wir singen für immer die gleichen Melodien. Bis wir sie nicht mehr selbst singen, sie uns gesungen werden, von den Maschinen, die wir groß gefüttert haben. Oder? Die Melodie des Volksliedes „Hejo, spann den Wagen an“ kommt aus der Frühen Neuzeit, geistert also schon länger durch Köpfe und Kehlen. 1976 machte die Melodie als Protest-Sprachchor Karriere, als in Brokdorf gegen den Bau des AKWs demonstriert wurde (erfolglos). „Hejo, jetzt ist aber Schluss / weil es endlich anders werden muss. / Den Atomkraftausstieg musst du selber machen …“ Von Demo zu Demo wurde der Text griffiger gedichtet, bis er zu einer leicht wandelbaren Hülse wurde: „Hejo, leistet Widerstand / gegen diesen Wahnsinn hier im Land!“
Einzig das Akkusativobjekt der zweiten Zeile muss nun ausgetauscht werden, und schon wehrt sich man sich, wogegen auch immer man sich wehren mag: Raketen (Pershing, 1980er) / Milliardengrab (Stuttgart 21, 2010) / Braunkohle (Fridays For Future, 2019) / Corona-Diktatur (Querdenker, 2020). Die neuste Zeile entstand 2024. Gegenwärtig richtet sich der Sprachchor gegen „den Faschismus hier im Land“. In dieser Form kann er nun auch gestreamt werden: Jürgen „Chock“ Fastje: „Wehrt Euch, leistet Widerstand“.
2. …gegen den faschismus hier im land
Seit fast 20 Jahren pulsiert Kim Kardashian im Takt des Zeitgeists. Sie blühte auf in der Instagram-Ära, in der sie Filter-to-real-life Körpermodifikation übertrieb und zur Galionsfigur all derer wurde, die zur eigenen Marke werden wollten. Keeping up mit dem eigenen Alltag als Content! In den Jahren, in denen „Diversity“ noch dominanter Zeitgeist-Marker war (circa 2017 – 2023) bediente sie sich sowohl Drag-Schminktechniken als auch etlicher Schwarzen Ästhetiken und natürlich der Plus-Size-Inclusivity.
Zudem machte sie Wahlwerbung für die Demokraten, wurde mit Barack Obama und Hillary Clinton fotografiert. Kamala Harris unterstützte sie 2024 – zumindest öffentlich – nicht. Am Tag von Trumps zweiter Amtseinführung teilte sie ein Foto von Melania Trump im Superschurkenkostüm mit Hut, wenig zuvor posierte Kardashian mit dem Superschurken-Auto der Stunde, dem Tesla Cybertruck und dann inszenierte sie für ein Magazin eine Dark Romance mit dem Tesla-AI-Roboter. All das, während die AfD in Deutschland in den Umfragewerten zum ersten Mal gleichauf mit der CDU liegt und in den Feuilletons nach einem positiven Re-Framing des Militärdiensts gesucht wird …
3. …haltet mies zusam-men, haltet mies zusaaaa-mmen
Und musikalisch? Da mischt die Berliner Rapperin Ikkimel Neunziger Euro-Trash-Beats ganz geil ab mit naiver Stimme und „frecher Fotzigkeit“. Ist also eine Art Shirin David ohne Handbremse, oder eher: mit Handjob an eben jener Bremse. Versagte sich David doch ihr aktuelles Album JUNG, FOTZIG UND FRECH zu nennen, sondern entschied sich für das gleichzeitig sauber wie auch leicht angestaubt klingende SCHLAU ABER BLOND (2025).
Shirin Davids vorherige Alben kopierten vornehmlich Cardi B, also Schwarzen Rap. Nun ist ihr sowie Ikkimels Vorbild eher dessen eskapistischer Abklatsch: weißer, poppiger Spaß-Rap. Ein Mix straight aus der Geisteshaltung von Sonya Kraus’ „talk talk talk“ (2000-2011), serviert an Princess Superstars „Bad Babysitter“ (2002) und – ganz, ganz wichtig – Eminem feat. Dina Rae „Superman“ (2003). Letzteres Duett ist die Stanze, aus der gerade der gesamte weiße Spaß-Rap geboren zu sein scheint. Von eben jener Ikkimel über Shirin David feat. Ski Aggu bis Zsa Zsa feat. Replay.
In dieser Internet born Überstilisierung des weißen 2000er Trashs geht es immer irgendwie um Ketamin, Fingernägel und Prada-Täschchen. Durch Beat und Bild wird uns gesagt, dass alle Diversity- und Feminismus-Bestrebungen schon verstanden, und ja doch valide sind, aber dennoch: Gerade ist alles SCHEISSE. Also jetzt SPASS in Versalien. In „Baddie“ seufzt Ikkimel: „Baby, hab’ ’nen Bachelor und der war sogar mies gut (ja) Ist mir nicht ma‘ schwergefallen, jetzt tanz‘ ich nackt in Videos (haha).“ Ja, haha! Baddies, wie soll ich es sagen? Haltet mies zusammen!
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 6/2025.



