Squid im Fokus: Vom Horror zur Hölle

Die britische Band hat Spaß an bösen Geschichten. Musikalisch geht es aber gar leichtfüßig zu.

Ganz vorne steht hier und heute das Ich. Es sollte sich angesichts all der Verwerfungen und apokalyptischen Entwicklungen, die auf COWARDS, dem aktuellen Album (Release: 7. Februar) von Squid verhandelt werden, ganz prominent melden dürfen. „Ich bin ein guter Mensch“, sagt Ollie Judge, Sänger-Drummer und vornehmlicher Lyriker der Band, und fügt hinzu, dass böse Geschichten für ihn eine schöne Herausforderung darstellen. „Ein paar Songs lang macht das richtig Spaß, in die Schuhe von jemandem zu schlüpfen, der böse ist, weil es sich so sehr von dem unterscheidet, was ich denke.“ Bücher und Filme handelten nun mal sehr oft von bösen Menschen. Und jetzt also auch diese Platte.

Das Böse lauert überall

Den Vorgänger O MONOLITH hatte Judge im Gespräch 2023 als Horror-Album bezeichnet, und der Interviewer merkt an, dass Squid 2025 lyrisch den Gang in die Hölle angetreten sind, das Böse lauert an allen Ecken und Enden. „From horror to hell“, meint Ollie Judge und muss lachen, „das gefällt mir. Aber musikalisch trifft das jetzt nicht zu.“ Na klar, die Meisterschaft des britischen Quintetts besteht darin, große Räume zwischen Text und Musik zu erschaffen, in denen zahlreiche Interpretationen möglich sind.

Den Songs auf ihrem dritten Album ist jedoch gemein, dass sie so quecksilbrig wirken und von raschen Tempo- und Instrumentenwechseln bestimmt werden, die die Hörer:innenschaft ordentlich durchschütteln. COWARDS ist ein leichtfüßiges und heißsporniges Prog­rock-Programm geworden – ein Gegenentwurf zum Dark-Wave- oder -Rock-Schmerz.

Die Stücke entstanden innerhalb kurzer Zeit an mehreren Orten, in den Küstenstädtchen Margate im Südosten Englands und Falmouth im Südwesten, nicht weit von Land‘s End. Für die Recordings ging die Band schließlich in die Londoner Church Studios, wo sich die Rock- und Pop-Promis die Klinke in die Hand geben (Adele, Fontaines D.C., Pet Shop Boys, U2). Die Songs hatten zuvor verschiedene Stadien durchlaufen, erzählt Ollie Judge. „Von allen Stücken existieren längere und ganz anders strukturierte Versionen, ich habe so viele Files auf meinem Laptop, und einer unterscheidet sich vom anderen.“ Es sei schon ein sehr experimenteller Ansatz für Squid gewesen, die Musik schlussendlich zu vereinfachen. Bei den Lyrics ist die Sache eher schwieriger und unübersichtlicher geworden.

Der moralische Kompass

Hier kommt das Ich wieder ins Spiel. Ollie Judge musste sich an einem Punkt eine sehr ernste Frage stellen: „Stimmt irgendwas nicht mit mir?“ In der Vorabsingle „Crispy Skin“ verarbeitet der Sänger die Lektüre des Romans „Tender Is The Flesh“. Viele Bekannte hätten ihm das Buch empfohlen, „als einen der verstörendsten Lesestoffe. Das zog mich an, ich wollte sehen, wie ich darauf reagiere.“

In ihrer 2017er Splatterpunk-Novel beschreibt die argentinische Autorin Agustina Bazterrica eine Gesellschaft, in der Kannibalismus legal geworden ist, weil das Fleisch von Nutztieren von einem Virus befallen wurde. „Ich muss sagen, ich war nicht richtig geschockt von dem Buch“, so Judge, „ich habe mir aber Fragen gestellt, es geht auch darum, wie schwierig es in einer solchen Gesellschaft ist, einen moralischen Kompass zu finden.“

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Squid und ihre Plattenfirma Warp stellten ein Takashi-Ito-Video von 1995 dazu, es zeigt einen Mann ohne Kopf, der an einen Stuhl gebunden ist und sich in einer Art Labor befindet. „Das war einfach perfekt“, sagt Ollie Judge.