Swell Maps

THE JOHN PEEL SESSIONS

Mute/PIAS (VÖ: 12.9.)

Vor rund 50 Jahren lud DJ John Peel eine nahezu unbekannte Band zu einer Radio-Session in London ein. Zwei weitere folgten, nun vereint auf einem Album. Eine Sternstunde des britischen Postpunk und Underground-Rock.

Birmingham, Großbritanniens zweitgrößte Stadt, ist in den Siebzigerjahren ein nur bedingt anheimelnder Ort, erschüttert von Bombenanschlägen der IRA, geprägt von massiven sozialen Spannungen und einem wirtschaftlichen Niedergang sondergleichen – aber immerhin gesegnet mit einer überaus lebendigen Musikszene. Im nahe gelegenen Solihull wachsen die in London geborenen Brüder Godfrey auf, Kevin legt sich den Künstlernamen Epic Soundtracks zu, sein älterer Bruder Adrian nennt sich fortan Nikki Sudden. Denn schon als Teenager gründen sie die Swell Maps, zusammen mit Stephen Bird, Bühnenname Jowe Head und später ein Mitglied der Television Personalities.

Die Swell Maps werden zwar bis heute gerne unter Postpunk eingetütet, doch wenn man die Kompilation WHATEVER HAPPENS NEXT… mit frühen Songs aus den Jahren 1974/75 hört, scheint Prä-Punk ihre Musik weitaus treffender zu beschreiben. Es war Lo-Fi-DIY-Rock, oft im elterlichen Wohnzimmer auf Kassettenrekorder aufgenommen und stark beeinflusst von Avantgarde, Kraut- und Garagenrock. Die Swell Maps sind damals eine absolute Nerd-Band, die mit fast allen Klangerzeugern experimentiert, die sich im Haushalt zwischen Staubsauger und Spielzeug-Saxofon finden lassen.

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Nach den ersten Gehversuchen 1972 braucht es allerdings noch ein paar Jahre, bis sie ihre Instrumente beherrschen, Nikki Sudden das Singen lernt und die Band ihren eigenen Stil findet. Schlagzeuger Epic Soundtracks, inspiriert von Can-Trommler Jaki Liebezeit, leitet seinen Namen von deren Album SOUNDTRACKS ab. Und einer der ersten, dem die wahrhaft außergewöhnlichen Swell Maps auffallen, ist konsequenterweise DJ John Peel, bekennender Can- und Krautrock-Fan sowie ganz grundsätzlich allem zugetan, was neu und frisch und spannend klingt.

Es ist wirklich erstaunlich, wie innovativ diese Teenager-Band damals schon war

Dreimal lädt er die Swell Maps zu seinen berühmten Sessions auf BBC Radio 1 ein, die erste findet im Oktober 1978 statt. Damals können diese exzentrischen Schulfreunde aus den Midlands nur einen Highspeed-Reggae-Track namens „Read About Seymour“ vorweisen, erschienen auf 7“-Single. Erst nach ihrer zweiten Peel-Session im Juni 1979 erscheint ihr Debütalbum A TRIP TO MARINEVILLE, das bis auf Platz 10 der britischen Indie-Charts vordringt und nun die Hälfte des Materials der THE JOHN PEEL SESSIONS liefert.

Das Zweitwerk JANE FROM OCCUPIED EUROPE, 1980 auf Platz 4 der Charts, steuert ebenso einige Songs bei, dazu addieren sich ein paar Raritäten wie „Bleep And Booster Come Round For Tea“ und „Bandits One Five“, das alle Fans von The Fall verzücken dürfte. „Big Empty Field“ klingt nach Sonic Youth, allerdings noch vor deren Gründung. Es ist wirklich erstaunlich, wie innovativ diese Teenager-Band damals schon war, wie sie den Acker bestellte, auf dem kurz darauf die Pastels und viele Jahre später Pavement erfolgreich wachsen konnten. Im Jahr 1982 war dann bedauerlicherweise Schluss mit den Swell Maps, Nikki Sudden entwickelte sich zum romantischen Troubadour weiter und wurde ein Teil der Jacobites, die einen ab 1984 mit bezaubernden Songs beschenkten.

Bruder Epic Soundtracks tauchte indes bei These Immortal Souls, Red Krayola und Crime & The City Solution auf, ehe er mit nur 38 Jahren im November 1997 verstarb. Nikki Sudden, der bei den Jacobites einen ungesunden Rockstar-Lifestyle kultiviert hatte, folgte ihm 2006 nach einer langen Phase exzessiven Drogenmissbrauchs.

Der Autor dieser Zeilen durfte ihn als Mitbesitzer einer Cafe-Bar in Hamburg einige Male bewirten, Stammgast Niels Koppruch saß auch mit am Tresen. Da waren die Hauptnahrungsmittel dieser großen, umtriebigen Dandys aus England noch Kippen und Rotwein. In Absenz der Gebrüder Godfrey blieb es also an Jowe Head hängen, die Geschichte der Swell Maps aufzuarbeiten. Zum einen mit dem – mittlerweile leider vergriffenen – Buch „Swell Maps 1972 1980“, zum anderen mit der Kompilation MAYDAY SIGNALS. Die THE JOHN PEEL SESSIONS schließen erfreulicherweise eine weitere Lücke.

Diese Review erschien zuerst um Musikexpress 10/25.