Shirin David
SCHLAU ABER BLOND
Juicy Money Records (VÖ: 14.2.)
Shirin David gibt auf ihrem dritten Album das Unterwäscherolemodel mit Herz und Hirn. Ihr Pop-HipHop ist diesmal allerdings eher ihren Freundinnen gewidmet als den Herren der Schöpfung.
Eine Idee von sich selbst zu haben ist per se nichts Schlechtes. Das hatte schon immer was. Früher, vorm Internet, wuchsen Anstrengungen oder einfach nur Bemühungen in Richtung Sichtbarkeit und Durchstarten im Popzirkus auf relativ kargem Boden. Meist ließen sich Pläne, die das eigene Individuum optisch und erfolgsmäßig über die eigene Blase hinaus abzischen lassen sollten, nur mühsam, langsam und durch Kontakte unters Volk bringen. Man musste schon verdammtes Glück haben und hoffte demütig darauf, entdeckt, herausgefischt zu werden. Damit ist seit YouTube und TikTok tendenziell Schluss. Vom Wunsch bis zur Chance bis zum Erfolg ist es mittlerweile oft nur ein Katzensprung.
Shirin David weiß Bescheid über sich und diesen Umstand. Sie hatte und hat immer noch einen Plan. Sie setzt ihn bereits seit einigen Jahren konsequent um und krönt ihre bisherigen Bemühungen nun mit einem neuen Album. SCHLAU ABER BLOND fasst zusammen, was ihre Definition von Feminismus und Fame ist. Aber der Reihe nach.
Wo kommt das her?
Shirin David hat bereits auf ihrem letzten Album von 2023 mit dem Song „Bramfeld Storys“ über 8 Minuten hinweg ihre eigene Vita aufgerollt. Wer wollte, konnte verstehen, woher sie kommt, aus eher prekären aber doch ambitionierten Verhältnissen nämlich. Ihre Mutter, aus Litauen stammend, alleinerziehend, legte Wert auf eine klassische, künstlerische Ausbildung. Klavier, Ballett, Oper. Auch Gymnasium. Grundlagen, von denen Shirin sich irgendwann abgrenzte, als sie immer seltener zur Schule ging und eher mit ihrer YouTube-Clique abhing. Was sich als Erfolgsgeschichte entpuppen sollte, übrigens.
Und trotzdem ist es vermutlich die bereits in frühester Kindheit angelegte Durchtaktung des Alltags gewesen, die ihr die nötige Disziplin mitgab, ihre Karriere im wahrsten Sinne des Wortes zu pumpen. Der „Body“ den sie haben will, ist der Erfolg. Durchziehen, abliefern, nicht schlappmachen, ihr „Pushen“. Arbeit und Körper verschmelzen bei Shirin David zu einer Karriere, die ihr, Stand jetzt, bei Spotify höhere monatliche Abrufzahlen als Helene Fischer beschert, mit der sie ja auch schon auftrat, was beiden sicherlich nützlich war, by the way.
Held:innenreise
SCHLAU ABER BLOND ist Shirin drittes Album. Böse Zungen behaupten, musikalisch sei keine Entwicklung seit Beginn ihrer Karriere herauszuhören, aber das stimmt glaube ich nicht. Auf ihrem Erstling SUPERSIZE gibt sie, ihre US-Vorbilder reenactend, die anschmiegsame R’n’B-Katze, die, sich nackt im Champagnerglas räkelnd ihren Fantasien von Brillies und Money hingibt. Ab jetzt wird alles mitgenommen. Nr. 1 Hits, der Bambi, eigenes Parfüm. Monothematisch geht es erstmal um Mann und Frau, um Fuckability und den Blick des Typen auf den weiblichen Körper. Sie will gefallen, stellt aber mit „Gib ihm“ klar: “Sprichst du nicht über Cash, versteh ich keinen Satz“. David macht sich selbst zum Angebot und bemisst ihren Gegenwert in Geld. Noch. Schon bald ist natürlich klar, dass sie davon bereits mehr hat als ihre Anglotzer und Abwerter.
Körper/Eingriffe/Schludrigkeit
Auch das gehört zu einer Entwicklung, die für die Gen Z bereits völlig normal ist: Den Body „machen“ lassen. Weil man es sich leisten kann, das soll jeder sehen. David ist dabei, Hintern-,Titten-, Face- Operationen sind Teil ihrer Ich-Werdung. Geschickt pariert sie die kritischen Anmerkungen feministischer Urgesteine. In „Babsi Bar“ von 2021 sagt sie: „Feminin as fuck, meine nicht Alice Schwarzer“. Eine klare Absage an die Annahme der ersten Generation von Kämpferinnen, weibliche Selbstermächtigung schlösse das Vorzeigen eines juicy Dekolletees aus. Ihre Art des Aufbegehrens ist selbstverständlich fresh, daran müssen sich alle gewöhnen, was auf dem Weg zu verschiedenen Missverständnissen führt. Shirin lässt das kalt, sie macht weiter, auch, wenn sie sich hier und da durch dämliche Kollaborationen mit Homophoben und Antisemiten (Naidoo, Mert, Maitre Gims) verstolpert. Sie entschuldigt sich dafür, will sich mit bestimmten Themen und Typen im Vorfeld nicht ausreichend beschäftigt haben, naja…
Geldumarmung
2023 kommt das Album BITCHES BRAUCHEN RAP heraus und gleichzeitig geht sie zum ersten Mal erfolgreich auf Tour, bringt eine Teemarke („DirTea“) heraus, ist Dauergästin in zahlreichen TV-Formaten. Gefühlt macht sie ALLES, was vielen auch schon wieder nicht passt. Das Feld wurde aber nun mal bestellt, jetzt will sie auch ernten. Und ihre Ernte ist u.a Geld. Die Art, wie sie davon spricht und es auch rauschhaft ausgibt, ist so undeutsch wie unbescheiden. In Krisenzeiten scheint aber gerade dieses Versprechen (streng dich an, glaube an dich, zieh durch, dann kannst du all das auch haben) zu verfangen, ob man will oder nicht. Ruhm ist nichts, wenn er sich nicht auch in barer Münze auszahlt. Und hier ist sie wieder ganz bei ihrem Vorbild Nicki Minaj, die ihren Kritiker:innen mit Platin-Kreditkarten vor der Nase herumwedelt. Was willst du? Zur Not kaufe ich deinen Laden. Und dich gleich mit dazu.
SCHLAU ABER BLOND: So heißt Shirin Davids neues Album, das, nach einer zweiwöchigen Verschiebung, am Valentinsag 2025 herauskommt, gleichzeitig mit Ikkimels neuem Werk FOTZE, die die Freundin von Ski Aggu ist, mit dem Shirin wiederum den bereits ausgekoppelten Hit „atzen&barbies“ eingespielt hat. 14 Tracks gibt es und die meisten sind wirklich gut. Catchy. Klar, man hört Vorbilder heraus, in „grwn“ kommt Charli XCX um die Ecke, Missy Elliott läuft auch öfter mal vorbei, genau wie die bereits erwähnte Nicki Minaj, aber was soll’s. Dass man auf den Schultern von Heldinnen stehen muss, um den Horizont zu sehen, weiß doch jeder. Shirin macht was eigenes draus. Zieht einen Lifestyle und eine bestimmte Haltung nach Deutschland rüber. Warum soll das, was viele feiern, erarbeiteter Reichtum, ein Selbstbewusstsein, das auf finanzieller Unabhängigkeit fußt, nicht auch hierzulande funktionieren? Ja, sie umarmt den Kapitalismus. Punkt. Dazu kann und muss man eine kritische Haltung haben, aber trotzdem: Respekt. Man gönnt ihr irgendwie ihr Leben.
Supergeschickt wird auf SCHLAU ABER BLOND mit ihrem eigenen Klischee gespielt (Busen=doof) und was sie hier textlich durchspielt, ist das, was meine Mutter als „Uschi-Prinzip“ bezeichnet. Dieses kommt zur Anwendung, indem man einer bestimmten Sorte Mann (gerne Typ: Mansplainer) gegenüber die hilflose Maus gibt, der es zur Hilfe zu eilen gilt. Man killt diese Typen sozusagen mit ihren eigenen Vorurteilen, besänftigt sie, stärkt ihr Selbstbild und kriegt so, was man will. Stressvermeidung plus Verarsche als Machtausspielung. Das ist nicht nett und meiner Meinung nach auch alles andere als zeitgemäß oder ausbaufähig, aber, pardon, Spaß macht es trotzdem. Zumindest auf Albumlänge.
Schlau ist auch, dass Shirin gleich zu Beginn mit dem ersten Track „iconic“ ihren Kritiker:innen Paroli bietet, indem sie sagt „meine Damen und Herren, es singt für sie: das Niveau“. Empörungsluft aus dem Reifen lassen, erstmal Maul stopfen. Die Rahmung wird perfektioniert durch das letzte Stück „fsk16“. Hier geht es darum, klar zu machen, dass David sich nicht in der Verantwortung dafür sieht, dass Mütter aus Klein Kleckersdorf um das Seelenheil ihrer Kinder fürchten und ihr dies auf Insta mitteilen, weil Shirin expliziten Sex aufs Tapet bringt („was hat denn mein Arsch bitte zu tun mit deinem Kind. Einfach gar nichts“). „pms“ ist schlagerhaft, transportiert aber DAS Thema, bei „Baby Bounce“ verschiebt David „das Dinner vom Tisch auf die Couch“ und „Ich krieg dich nicht aus meinem Kopf“ könnte auch im ZDF-Fernsehgarten funktionieren.
Keine Atempause
Es wird weitergehen für Shirin David. Weiter nach oben, falls das noch geht, davon bin ich überzeugt. Sie reiht sich ein in eine neue Generationenriege von Stars (Nina Chuba, Kaulitz-Brüder, Badmómzjay), die den Markt nach ihren Regeln bespielen und trotzdem Impulse geben. Dazu gehört schon was. Erinnert sich noch jemand an Revolverheld? Oder an Lena Meyer-Landrut?
SCHLAU ABER BLOND macht Spaß und ist bouncy. Jedes Stück darauf ist für irgendwas gut und wird sowohl auf Pro7 als auch auf 3sat verhandelt werden können, wenn alles richtig läuft. Unabhängig übrigens davon, dass Shirin ihre Klamotten oft kaum anhat. Weil das nämlich völlig egal ist.
Welche Alben im Februar 2025 noch erschienen sind, erfahrt ihr über unsere monatliche Veröffentlichungsliste.


