Jenny Hval
IRIS SILVER MIST
4AD/Beggars/Indigo (VÖ: 5.2.)
Musik über das, was von langen Nächten übrig bleibt. Über Düfte und Klänge, Worte und Berührungen. Arrangiert in Art-Pop-Songs, die mal eiskalt, mal tropisch klingen, mal elektronisch, mal folkig.
 
        Als man noch fast überall rauchen durfte, in Kneipen, Clubs und Cafés, trug man am Ende der Party den Geruch der langen Nacht mit nach Hause. Kalter Rauch in den Klamotten. Nicht gut für Gesundheit und Nase. Heute ein Geruch, den es nicht mehr gibt. Und der deshalb nostalgische Erinnerungen hervorruft.
 
        Jenny Hval vermisst ihn, diesen Geruch. Weil das gemeinsame Rauchen im öffentlichen Raum für sie ein Sinnbild für ungezwungene Begegnungen war. Als dann die Pandemie mit ihren Lockdowns für Isolation sorgte, vermisste die Norwegerin viele weitere Düfte mehr. Den Schweiß der Nacht zum Beispiel, der sich mit Parfüms und Alkoholfahnen vermischt, später auch mit den Düften sexueller Erlebnisse. In ihrer Verzweiflung organisierte sie sich selbst Gerüche in Form von Parfümfläschchen.
Der Duft eines kalten, stechenden Nebelmorgens
Eine der Marken, die Hval besonders faszinierte: „Iris Silver Mist“ des Parfümeurs Maurice Roucel, der Duft eines kalten, stechenden Nebelmorgens. Inspiriert von diesen Parfüm-Kreationen sowie Aromen aus ihrer Geruchserinnerung begann Jenny Hval, diese Lieder zu schreiben. Als ein Appell an sich selbst, Sinnlichkeit zu erfahren, über Düfte, Klänge, Bilder, Berührungen.
IRIS SILVER MIST besitzt zwei Ebenen. Die erste besteht aus ausformulierten Liedern zwischen Art-Pop, Folk und Electronica. Jenny Hval zeigt seit vielen Jahren ihre grandiose Qualität als Songwriterin. Neue Stücke wie „Lay Down“, „To Be A Rose“ oder „All Night Long“ sind noch mal eine Spur besser, weil sie den Liedern viel Zeit gibt, ihnen kaum fassbare Arrangements schenkt. Synthie-Flächen klingen wie Geigen, Rhythmen aus dem Computer wie tropische Trommeln, alles fließt zusammen in einen warmen Nachtsound zwischen Edel-Pop, Folk und Electronica.
Getragen von Texten, in denen Jenny Hval über Blumen und ihre Düfte singt, über das Frau-Werden, Frau-Sein, Frau-Bleiben. Und über die Zigaretten, die ihre Mutter auf dem Balkon raucht und deren Qualm in der Luft einen Tanz aufführt. Wirklich wahr: Dies ist die schönste Kippenpoesie der Welt. Die zweite Ebene von IRIS SILVER MIST eröffnet sich vor allem in der zweiten Hälfte des Albums.
Jenny Hval arrangiert flüchtige Momente perfekter Schönheit
Zu den schönsten Momenten des Musikhörens zählt es, mit Songs auf dem Ohr durch die Welt zu spazieren und dabei zu erfahren, wie die Klänge der Umwelt sich in den Soundtrack auf dem Ohr integrieren. Wenn also das, was die Leute im Zug reden, was die Vögel in den Bäumen zwitschern, was die Kaffeemaschinen an Geräuschen produzieren, zum Bestandteil der Musik wird. Jenny Hval fügt vielen Songs Klänge dieser Art bei. Monologe. Schrittgeräusche. Der Sound des Regens.
Einige der Tracks sind nur kurz, gehen nahtlos ineinander über, bauen einander auf, wie zum Beispiel „I Don’t Know What Free Is“ und „The Artist Is Absent“: Aus Ambient heraus entwickelt sich zunächst Sade-Soulpop, schließlich ein satter Clubsound. Jenny Hval arrangiert hier flüchtige Momente perfekter Schönheit. Vergleichbar mit einem fantastischen Geruch, der dich für einen Augenblick lang betört, bevor er wieder verfliegt – und du das Verlangen hast, ihn unbedingt noch einmal zu erleben. Was dazu führt, dass man IRIS SILVER MIST immer und immer wieder hört..
Welche Alben im Mai 2025 noch erschienen sind, erfahrt ihr über unsere monatliche Veröffentlichungsliste.
 
                     
                     
                     
                     
                     
                         
                                                    



