Ideal
IDEAL (2025 MIX)
Warner (VÖ: 27.6.)
Laut Geschichtsbuch ein NDW-Album, aber wir können auch einfach Pop dazu sagen.
Bevor das zarte NDW-Pflänzchen verballhornt, missbraucht und auf dem Altar schlagerhafter Banalitäten geopfert wurde, gab es diese kurze Phase kreativer Höhenflüge: Künstler:innen, die musikalisch mit Punk, Wave, Electro und Avantgarde flirteten, dabei aber jene Sprache benutzten, die der gemeine Pop-Fan schlimmstenfalls mit seifiger Schlagermusik assoziierte, vielleicht aber auch mit „nachdenklich anspruchsvoller“ Liedermacherei oder Lindenbergs schnodderigen Deutschrock-Humoresken. Sagen wir es so: In deutscher Sprache zu singen, war 1980 nicht zwangsläufig ein Ausweis von Modernität und Coolness. Aber das konnte sich ändern. Was es dann ja auch tat.
Für die beflissenen Vollchecker der Sorte „I was a punk before you were a punk“ (noch mal herzlichen Glückwunsch!) war das NDW-Phänomen natürlich schon vorbei, bevor die breite Öffentlichkeit überhaupt Notiz genommen hatte, aber das sollte heute nicht der Maßstab sein. Ideal war beileibe nicht die erste Band, die dem Genre zugerechnet wurde, aber ihr Debütalbum erschien immerhin noch im NDW-Durchbruchsjahr 1980.
Sie waren nicht die radikalsten und revolutionärsten Vertreter deutschsprachiger Neutönerei
Sie waren auch nicht die radikalsten und revolutionärsten Vertreter deutschsprachiger Neutönerei, dafür kommerziell aber sehr erfolgreich. Also: höchst verdächtig! Was sogar in einem Lied über „Blaue Augen“ gipfelte, eigentlich ein klassisches Schlager-Sujet. Nur spricht aus Annette Humpes Worten eher abgebrühte Langeweile als Konsequenz ständiger Reizüberflutung: „Ich will auch nicht in London sein / bei Sex and Drugs and Rock’n’Roll / ist das meist ein stumpfer Einfall.“ Cool sein um jeden Preis? Geld haben, an den hot spots abhängen und die richtigen Klamotten spazieren führen? Wie anstrengend!
Was auch der Song „Da leg’ ich mich doch lieber hin“ in Worte fasst, allerdings ergänzt um einen zeitgenössischen No-Future-Unterton. Selbst, wenn sich im Stück „Berlin“ das Wort Morgenrot auf Hundekot reimt – Ideal hätten zweifellos ein Zusatzhonorar vom Westberliner Tourismusverband verdient gehabt, denn die Dreieinhalbminuten-Nummer zelebriert / propagiert / glorifiziert exakt jenes Lebensgefühl, das am Realitäts-Check interessierte Provinzler landauf, landab auf anstehende Klassenfahrten hoffen ließ. Die Chancen für die 10b aus Visselhövede standen damals aber recht gut, denn Mauerstadt ging immer.
Die bestand, Klischees hin oder her, allerdings schon damals nicht nur aus Kreuzberg, hippen Clubs und „urigen“ Eckkneipen, auch die Schickeria, in gesamtdeutscher Folklore eher in Düsseldorf und München verortet, hatte in Westberlin ihre Hang-outs. Davon kündet „Hundsgemein“. Wir lernen: Hauptsache, einen auf dicke Hose machen, auf wessen Kosten auch immer. Der Zeitgeist war eben so: Auch im „dicken B“ klopfte jene Yuppies genannte Eighties-Subspezies immer vernehmlicher an die Türen von Rolf Edens Edel-Etablissements.
Freude bereitet die Musik drum herum
Nina Hagens „Pank“, ihre zwei Jahre zuvor veröffentlichte, angemessen wütende Abrechnung mit und Schimpftirade auf einen schlichten Macho-Trottel, mag den Ton gesetzt haben, doch Ideals „Irre“ zeichnet das differenziertere Bild einer toxischen Beziehung. Doppelmoral, Larmoyanz, Aggressivität – all inclusive. Nur: Hagen schickte den Käsesocken-Typen in die Wüste, „Irre“ lässt das Ende offen. Wir hoffen das Beste.
Freude bereitet die Musik drum herum, die sich einerseits am nervösen, leicht hektischen Habitus zeitgenössischer New-Wave-Klänge orientiert, andererseits immer wieder den Punk zitiert, letztlich aber vor allem eines ist: Pop mit erstaunlichem Frische-Faktor. Keyboarderin/Sängerin Annette Humpe und Gitarrist Eff Jott Krüger agieren stilsicher und souverän, aber es ist vor allem die Rhythmusgruppe aus Bassist Ernst Deuker und Schlagzeuger Hans Joachim Behrendt, die mit präzisem, raffiniert vitalem Spiel brilliert.
Dabei geht es nun wirklich nicht um irgendeine Art von sophisticated Muckertum, sondern darum, all die guten Ideen energisch und druckvoll auf den Punkt zu bringen. Wenn dann in „Hundsgemein“ auch noch ein mutmaßliches Waldhorn röhrt, während Krügers Gitarre funky Akzente setzt, ist das ziemlich prima. Ideals LP-Debüt erschien seinerzeit auf dem IC-Label des Elektronik-Pioniers Klaus Schulze, abspielbar mit 45 U/min, was beim Erstkontakt vermutlich neun von zehn Plattenkäufern eine Überraschung bereitete. Der aktuelle „2025 Mix“ stammt von den Originalbändern, wurde digitalisiert und von Moritz Enders sowie Annette Humpe neu abgemischt. Ist der Unterschied gigantisch? Nein. Ist er hörbar? Ja.
Welche Alben im Juni 2025 noch erschienen sind, erfahrt ihr über unsere monatliche Veröffentlichungsliste.



