Die Höchste Eisenbahn
WENN WIR UNS WIEDER SEHEN SCHREIEN WIR UNS WIEDER AN
Mila/Indigo (VÖ: 12.9.)
Gutmenschenmusik, die das Kunststück fertig bringt, zugleich belanglos und sperrig zu sein.
„Montag, Dienstag, Mittwoch sind meine Bürotage, da kann ich leider nicht“: Kann man so einen Satz singen? Oder den: „Wenn ich kurz stehen bleiben kann, um nachzudenken, wie weit ich bis dahin gelaufen bin.“ Wenn man das neue Album von Die Höchste Eisenbahn hört, dann sollte man sich mal zurückerinnern an eine Zeit, in der es nur einen Udo Lindenberg gab, der einen daran glauben ließ, dass Deutsch als Popsprache möglich ist.
Seitdem ist eine Menge Zeit vergangen, und viele haben daran gearbeitet, aber die Selbstverständlichkeit, mit der Francesco Wilking und Moritz Krämer Zeilen singen, die das Kunststück fertig bringen, zugleich belanglos und sperrig zu sein wie der Albumtitel WENN WIR UNS WIEDER SEHEN SCHREIEN WIR UNS AN, es dann aber weder sperrig noch belanglos klingt, während sie auch noch auf den Reimzwang scheißen, die ist schon sehr besonders. Dass dabei – seien wir ehrlich – mitunter genuschelt wird wie von Lindenberg, das ist mehr als ein Zitat, sondern eben Stilmittel und hilfreich, um „Dieses Leben“ und „alle Tiefen, alle Höhen“ darin zu feiern, ohne dass es pathetisch wird, oder in „Gitarre Ärztin Blau“ den Zustand der Welt zu diagnostizieren und auf Besserung zu hoffen, ohne zynisch zu werden.
Dazu lässt das einstige Berliner Allstar-Projekt, das längst eine feste Band geworden ist, die Musik dahertapern, als käme sie nur zufällig vorbei, und dann vertrödelt man zusammen einen herbstlichen Nachmittag, ohne es überhaupt richtig mitzukriegen, während jemand noch einmal „das Märchen, wie glücklich deine Kindheit war“, erzählt, und das ganze Verhängnis, das in diesem Satz liegt, wird aufgefangen durch die Nonchalance des Vortrags. Die Höchste Eisenbahn sezieren den Alltag erwachsener Menschen, seine Absurdität und Ambivalenz, seine ganze Tragik mit einem ebenso unbestechlichen wie empathischen Blick, und diese im allerbesten Sinne Gutmenschenmusik flüstert auch noch in all ihrer entspannt dahinfließenden Friedfertigkeit dauernd: Wird schon wieder.
Diese Review erschien zuerst im Musikexpress 10/2025.

