Deep Purple

MADE IN JAPAN (50TH ANNIVERSARY EDITION)

Universal (VÖ: 15.8.)

Dokument aus einer Zeit, als ungestümer Hardrock sogar experimentell sein durfte.

Dass MADE IN JAPAN eines der besten Livealben der Rock-Ära ist, dürfte sich nach rund fünf Jahrzehnten herumgesprochen haben. Manche Menschen verzichten sogar auf halbgare Relativierungen und tendieren gleich zum Superlativ. Kein völlig abwegiger Standpunkt, selbst bei abgesetzter Fan-Brille, denn die drei Konzerte aus Osaka und Tokio präsentieren tatsächlich eine Band auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, die mit überbordender Spielfreude und jeder Menge Kompetenz bereits gute Studio-Tracks in abenteuerliche Live-Takes verwandeln konnte.

Selbst, wer mit britischem Hardrock der Siebzigerjahre wenig am Hut hat, dürfte – offene Ohren vorausgesetzt – von der schieren Energie, dem improvisatorischen Einfallsreichtum, der Freude am Experiment und der lockeren Selbstverständlichkeit beeindruckt sein, mit der all das dargeboten wird. Das vielleicht beste Beispiel: „Space Truckin’“, auf dem Studioalbum MACHINE HEAD ein netter, leicht glamrockender Viereinhalb-Minuten-Boogie, mutiert am 16. August in Osaka zur knapp 20-minütigen Weltraumreise mit sphärischen Keyboard-Interludien, die eher an die kosmischen Kuriere der Berliner Krautrock-Schule erinnern als an Londoner Hardrocker. Der Zeitgeist war eben wohlwollend, Rockmusik durfte in alle möglichen Richtungen expandieren und sich dabei ordentlich austoben.

Der Zeitgeist war wohlwollend, Rockmusik durfte in alle möglichen Richtungen expandieren.

Wobei den Deep Purple jener Ära, der legendären Mark-II-Besetzung, das Verdienst zukommt, auf Jazzrock-Gegniedel oder Progrock-Schöngeistigkeiten verzichtet zu haben – es war im Kern immer noch harter, ruppiger Rock’n’Roll. Das Originalalbum erschien im Dezember 1972 als Doppel-LP und verkaufte sich wie blöd, in Deutschland stand es 1973 auf Platz 2 der Jahrescharts – lediglich getoppt von Heinos „Großen Erfolgen“. Überraschend für ein Werk, das ursprünglich nur als Tour-Souvenir in Japan erscheinen sollte und im Vorfeld bei Teilen der Band auf wenig Interesse gestoßen war.

Das Drei-CD-Set von 1993 berücksichtigte immerhin alle drei Konzerte, wenn auch äußerst lückenhaft, die schmalere Jubiläums-Edition zum 25. Geburtstag kam dafür mit Tracks aus dem Zugabenblock, und als 2014 ein Box-Set mit fünf CDs und einer DVD-Dokumentation veröffentlicht wurde, schien das letzte Wort gesprochen. Aber nicht doch: Zum 50. Jahrestag, der tatsächlich der 53. ist, kommt natürlich ein noch größeres Paket, klanglich überarbeitet von Steven Wilson. Neben der klassischen Doppel-LP erscheint nun erstmals eine Luxus-Vinyl-Box mit zehn LPs, optional auch ein 5-CD-Set samt Blu-ray und Atmos-Mixen. Wer die kompletten Shows samt Zugaben und damals ausgekoppelter Single-Edits erwirbt, wird mit einem 60-seitigen Begleitbuch und dem Nachdruck des Tourplakats verwöhnt, muss für die Zehn-LPKiste aber auch gut 250 Euro hinblättern. Ist das letzte Wort damit gesprochen? Stand heute: ja.

Diese Review erschien zuerst im Musikexpress 09/2025.