Adrian Sherwood
THE COLLAPSE OF EVERYTHING
On-U Sound/Rough Trade (VÖ: 22.8.)
Die Dub-Legende sucht im Spielzimmer nach neuen Abenteuern.
Hitze flimmert über der Wüste, ein entwurzelter Busch weht vorbei, ein einsamer Reiter kaut auf einem Zigarrenstummel. Das sind so Klischees, die einem in den Sinn kommen, wenn eine Zither und eine Mundharmonika durch den Track wabern, den Adrian Sherwood nicht ganz zufällig „Spaghetti Best Western“ getauft hat. Hier verbeugt sich der legendäre Dub-Produzent, Labelbetreiber und Musiker vor dem noch legendäreren Filmkomponisten Ennio Morricone, aber – der Verweis auf die mittelpreisige Hotelkette im Songtitel deutet es an – nicht ohne ein ironisches Schmunzeln.
Sherwood, mittlerweile 67 Jahre alt, stellt die Klischees aus, ohne sie zu verraten, sein zweites Soloalbum von 2006 hieß BECOMING A CLICHÉ. Er isoliert die Grundzüge, verstärkt sie, wiederholt sie – und gibt ihnen so neues Leben. Es ist das Prinzip des Dub, das er wie vielleicht kein zweiter beherrscht – und auch nach 13 Jahren Albumpause wieder einmal meisterhaft demonstriert.
Als Produzent und Remixer war Sherwood eher Dienstleister, auf THE COLLAPSE OF EVERYTHING ist er ganz bei sich, ein Kind im Spielzimmer, das selbstvergessen bunte Klötzchen hin und her schiebt, um dann doch lieber die Puppenküche in Betrieb zu nehmen, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. „Battles Without Honour And Humanity“ klingt denn auch, als marschiere eine Kinderarmee durch ein blubberndes Aquarium, „The Grand Designer“ schickt einen James-Bond-Themesong in den Weltraum, das Titelstück dehnt sich wie eine Yoga-Session durch Flötentöne und Windgeräusche. Mit dem Album im Gepäck wird Sherwood erstmals in seinem Leben auf eine Solo-Tournee mit Live-Band aufbrechen. Noch mehr Abenteuer.
Diese Review erschien zuerst im Musikexpress 09/2025.


