Paulas Popwoche: The RomCom to end all RomComs
Paula Irmschler darüber, warum wir alle unbedingt Lena Dunhams neue Serie „Too Much“ auf Netflix schauen sollten.
Eigentlich wollte ich diesmal mal wieder mehrere Sachen empfehlen, weil es gerade so schöne Alben, Filme und Serien gibt, aber dann kam mir diese EINE Serie in die Quere und ich konnte seit einer Woche an nix anderes aus der Popkultur denken, deswegen wird’s doch wieder monothematisch, aber trotzdem riesig, es geht um die Liebe.
Eben jene verdammte Liebe, aus der wir Hirnis immer noch nicht schlau werden, und nur so kann es überhaupt sein, dass die Serie DER STUNDE (einem unter die Nase gerieben durch Promotion, Algorithmen und Rezensionen) auch schon wieder eine zum Thema ist: „Too Much“ auf Netflix.
Ich konnte auch nicht nicht einschalten: Eine neue Serie der umstrittenen Autorin Lena Dunham (dem Millennial-Feminismus-Postergirl, das wie eigentlich jedes Feminismus-Postergirl bewiesen hat, dass Feminismus nicht durch Poster zu erreichen ist), in der Hauptrolle die wunderbare Megan Stalter (schon in „Hacks“ wunderbar gewesen), die Geschichte auch noch von einer realen Liebe inspiriert (Dunham schrieb die Serie gemeinsam mit Ehemann Luis Felber), da wird man natürlich neugierig, da will man unbedingt wissen: Wie machen andere Leute das mit der Liebe? Dann natürlich die große Frage, ob und wie Dicksein in dieser Geschichte repräsentiert wird (denn Repräsentation ist leider immer noch alles, was wir bekommen, wir brauchen eigentlich: Gerechtigkeit, aber fair enough, das ist nicht die Aufgabe der Popkultur) und nicht zuletzt die Hoffnung, dass diese Liebesgeschichte endlich mal annähernd an das herankommt, was man selbst so damit erlebt hat.
Spoiler: JA! Sie kommt, finde ich, näher ran als alle vergangenen gehypten Hetero-Liebesserien, wie „Fleabag“, „Normal People“, „Emily in Paris“ oder „Nobody Wants This“.
ABER WORUM GEHT ES: Jess wurde von ihrem Freund verlassen, lebt nun bei ihrer tollen, lustigen Familie und hasst ihre Arbeitsstelle. Sie verlässt New York und fängt in London bei der dortigen Zweigstelle ihrer Werbeagentur an, glücklicherweise geht es aber nicht allzu viel um die Branche, das hat man nun wirklich schon zu oft gesehen. Stattdessen sieht man vor allem, wie Jess gleichzeitig flieht und sucht, popkulturelle und literarische Klischees in England projiziert, mit ihrem nackten Hund kuschelt, Hassbotschaften und Selbstreflexionen auf ihrem geheimen Insta-Profil vom Stapel lässt (sie adressiert sie an die Neue ihres Ex, eine Influencerin) und sich direkt am ersten Abend ins Nachtleben stürzt. Sie landet in einer Bar und lernt dort Felix kennen (Will Sharpe), die beiden verstehen sich auf Anhieb. Sie teilen zunächst vor allem den Humor, das Alleinsein und scheinen einander attraktiv zu finden. Sie gehen gemeinsam zu ihr nach Hause und dann läuft gar nichts glatt und dabei bleibt es dann auch zehn Folgen lang.
Die beiden Mittdreißiger, die erstmal wie Millennial-Serien- und Filmklischees wirken – der unerfolgreiche Indiemusiker und die quirky Dicke mit gebrochenem Herzen – überraschen dann aber ganz schön, uns als Zuschauende und einander. Beide sind zart und ängstlich, wirken immer wieder fast teenagerhaft, geben sich, wie es sonst in RomComs allzu oft dargestellt wird, romantisch nicht routiniert, sie sind sich noch nicht mal sicher, sondern tapsen genauso rum, wie sich das halt auch anfühlt: Als wäre es das erste Mal, wenn man sich verliebt. Dass es das nicht ist, merkt man bekanntlich vor allem immer an den schmerzhaften Dingen, dem sogenannten Gepäck, das man mit sich rumschleppt, an den Triggern, an allerlei gesellschaftlichen und intimen Zurichtungen, vielleicht auch an Scham und Schuldgefühlen, weil man selbst auch schon verletzt hat.
Während mit den Klischeefiguren immer wieder gespielt wird, scheinen Dunham und Felber unsere Sehgewohnheiten bewusst untergraben zu haben – so bekommt zum Beispiel der coole Indiemusiker vor seinem Auftritt Durchfall und die weinende nichtschlanke Singlefrau haut sich weder Rotwein noch Schokoriegel rein. Beide sind uncool und beide zeigen das einander auch von Anfang an. Sie sind offen mit ihren Unsicherheiten, auch wenn sie vieles, zu Krasses (too much halt), übereinander noch herausfinden müssen. Aber dafür braucht man Zeit, und die muss man einander auch geben wollen, statt Ausreden dafür zu finden, wieso es nicht klappen kann. Und diese Zeit gibt die Serie den beiden.
Diese tapsige, sehr labile Kennlernphase darzustellen, (auch wenn natürlich vieles sehr doll ist, aber es ist natürlich auch ein Kulturprodukt, das uns unterhalten soll) ist „Too Much“ wirklich saugut gelungen. Es ist eben nicht alles so süß und schön, wenn es zwischen zwei Menschen beginnt, auch wenn das so oft so erzählt wird (siehe „Honeymoon-Phase“ und ähnliche Bezeichnungen). Ist der Anfang einer Liebe nicht eher ziemlich derbe und schwierig, von Angst und starken körperlichen Reaktionen geprägt? Habt ihr nicht alle auffressenden Stress, wenn ihr euch verliebt? Ruckelt es nicht superdoll, wird einem nicht schlecht und schwindelig, hat man wirklich so viel Energie wie es oft heißt, oder ist man eher total überreizt? Tänzelt man wirklich zwischen flatternden Schleiern durch die Botanik oder zerfrisst einen eher die Unsicherheit die Birne? Rosarote Brille, wer soll das sein. Und ist der Sex, den man anfangs hat wirklich so superhot und leidenschaftlich oder tut man nicht erstmal, was man denkt, was man machen und gut finden soll und ist das nicht meist total basic Zeugs und mechanisch? Findet man nicht eher mit der Zeit gemeinsam raus, was wirklich gut tut? Ich stelle nur Fragen.
In „Love Actually“, das in „Too Much“ auch ironisch erwähnt wird, wegen England und popkultureller Romantik-Projektionen halt, gibt es diese Szene zwischen Sam und seinem Vater Daniel, in der Sam ihm erzählt, dass er verliebt sei. Der Vater ist daraufhin erleichtert, er sagt: „Well, I mean, I’m a little relieved.“ Sam daraufhin: „Why?“ Daniel: „Because I thought it might be something worse.“ Und Sam dann halt: „Worse than the total agony of being in love?“
In „Too Much“ sind die süßesten Momente die nächtlichen Gespräche, das Sichöffnen, sich Geheimnisse erzählen und zusammen für neue sorgen. Das sind die intimsten Momente, die wichtigsten, die, um die es nachher geht, wenn man einander festhalten will. Blöderweise öffnet man sich einander oft auch streitend, und auch das findet in „Too Much“ statt, nicht zu knapp, manchmal schmerzhaft anzusehen, weil man versteht, was die beiden da tun, aber auch weiß, dass es passieren muss. Sie sind unfair zueinander, sie verletzen einander, ohne dass sie es wollen, und als Zuschauende wird man bei vielen Streits am Ende nicht sagen können, wer jetzt eigentlich Recht hatte. In jedem Streit streitet man eben nochmal Vergangenes oder Entferntes mit, man streitet mit den Eltern, Expartner*innen, dem Chef oder mit sich selbst, man reagiert mal wie ein Baby, mal total zynisch und abgeklärt, man wirft sich hin und baut sich auf, man imitiert Filmszenen, man reinszeniert und erfindet.
Also warum sich bei all dem Knatsch dann trotzdem lieben? Das versucht „Too Much“ zu zeigen. Dass es nach schlimmen Verletzungen weitergehen kann, dass man neu oder weiterhin lieben kann. Sowohl Jess als auch Felix haben markerschütternde Vertrauensbrüche erlebt und riesige Lücken zu füllen, beide suchen nach einem Verbündeten, beide wollen lieben, halten sich aber nicht für liebenswert. Like wer kennt, um es mal in Millennialsprache zu sagen. Dass beide, trotz dessen, dass sie typische Kinder ihrer Generationen sind, angehalten dazu alles ironisch zu meinen und einander zu konsumieren, sich wirklich lieben wollen und eben nicht auf die zahlreichen Ausreden reinfallen, macht die Serie, glaube ich, so spektakulär.
Ich war bei früheren Serien (à la „Sex and the City“, „Friends“, „How I Met Your Mother“, „Scrubs“ und so weiter) stets irritiert, wie schnell Leute da abserviert wurden, welcher Minikonflikt da ausgereicht hat, um die Romanze enden zu lassen, die oft mit einer riesigen Anbahnungsstory eingeführt wurde. Das Auseinandergehen ging immer sehr schnell, der Konflikt hatte wenig Konsequenzen, man hat einander als Anekdote, als „Lesson“ abgehakt. Natürlich funktionieren so Comedy-Serien, aber man kann leider nicht behaupten, dass das nicht auch Teil der Datingkultur ist, alle sind kleine Anekdoten füreinander, vielleicht macht man das ein oder andere auch noch öffentlich in seinem Podcast oder seiner Kolumne, denn wenn wir einander noch kapitalisieren können umso besser, dann war es nicht umsonst, was?
Wo die Geschichte von Jess und Felix zur Anekdote oder Lektion werden könnte, geht es bei „Too Much“ aber nochmal rein und nochmal rein und nochmal. Ganz groß finde ich zum Beispiel (Achtung, Spoiler), dass die beiden selbstverständlich zusammenbleiben, nachdem Felix das „I love you“ von Jess nicht erwidern kann. Dieser Moment ist groß, ich glaube, ohne dass es nach sowas mindestens einen Bruch gegeben hat, habe ich das noch nie gesehen. Man weiß einfach, dass Felix sie liebt, dass es aber eine Geschichte dahinter gibt, wieso er es nicht sagen kann. Sie weiß es auch, weil sie ihn halt, nun ja, liebt.
Die Message von „Too Much“ ist aber auch nicht, dass Liebe alle Widrigkeiten übersteht, dass man sich alles gefallen lassen muss, dass es ausreicht, dass man es nur wollen muss. Ich bin mir nicht mal sicher, ob die beiden überhaupt zusammenbleiben, aber das ist auch nicht der Punkt. Liebe heißt, sich öffnen wollen, die andere Person verstehen wollen, wohlwollend aufeinander zu schauen, sich gut tun zu wollen. Das fühlt sich sehr radikal an in einer Zeit, in der das Vokabular um romantische Beziehungen sich nur noch nach Ausschluss und Gegenargumenten anhört: Red Flags, No Gos, toxisch, The Ick, Lovebombing, … Es muss was zwischen dem und dem schrecklichen „Stand By Your Man“ (egal, wie gewalttätig und lieblos eure Beziehung ist) geben. Es gibt eine ganze Menge. Es gibt TOO MUCH.
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