Paulas Popwoche: The Life of a Showergirl
Paulas Popwoche: Wir sehnen uns so vielleicht immer mehr nach Beziehungen auf Augenhöhe und Menschen, die möglichst wenig Getue und Maskerade abfeuern
Es ist jetzt nochmal richtig Sommer, also Zeit für Kindheitserinnerungen an eine Kindheit, die man so eigentlich nie hatte: ewige Strandtage, Grillfeste im Garten, frische Erdbeeren, Vergnügungsparks, Verknallen, Verstecken, ständige Pommes- und Eisversorgung, Sorglosigkeit und so weiter. Vielleicht kennt ihr auch all diese Assoziationen, die eine Prise Sonnencremegeruch in einem wecken und die man größtenteils aus den Filmen, von den Erzählungen anderer oder von den Buchrücken aktueller Sommerbestseller kennt. Ich hole das jetzt als Erwachsene so ein bisschen nach und schreibe euch daher aus dem Urlaub. Dort plansche ich im Meer, als wäre ich 12 und danach ist mein orangener Körper dann mit grünen Algen bedeckt. Iiiih!
Leider ist hier (Usedom) alles voller Faschos, weswegen ich mich dann doch wieder viel in die Popkultur, diesen ewigen Safe Space, flüchten muss. Und da ist dieser Tage etwas passiert, das mich in meine echte Kindheit zurückkatapultierte. Es ist eher unspektakulär, bisschen peinlich, jedenfalls sah ich als Steppke irgendwo (BRAVO? Viva? Tabaluga Tivi?), dass jemand die Farben grün und orange miteinander kombinierte, wahrscheinlich wurde es sogar als Trend ausgerufen, denn plötzlich war es für mich ein Ding, ich war obsessed. Kohle für neue Klamotten gab es nicht, in diesem Fall vielleicht zum Glück, also musste ich schauen, was unsere Kleiderschränke so hergaben. Wenn man viele Geschwister hat, findet man immer was, auch wenn es dann so überhaupt nicht passt. Ich tauchte also mit grüner Hüfthose und orangenem, halbdurchsichtigen Oberteil beim Familienfrühstück auf und war dem Spott meiner fiesen Geschwister ausgesetzt. Das war es also mit dem Trend.
25 Jahre später: Auftritt Taylor Swift und ihr neues Album „The Life of a Showgirl”:
Und guck mal an, das Farbkonzept! Da ist es! Mintgrün-orange! Und es ist so schön! Viel mehr wissen wir noch nicht, außer die üblichen Andeutungen und angeblichen Easter Eggs, aber in diese Rabbit Holes muss sich wirklich jede*r selbst reinschmeißen.
Glücklicherweise gibt es mindestens zwei Alben, die die Wartezeit verkürzen, zwei Alben, die am gleichen Tag erschienen sind und jetzt schon zu meinen Favoriten des Jahres gehören und unterschiedlicher kaum sein könnten.
Zum einen Ethel Cains drittes Album „Willoughby Tucker, I’ll Always Love You”, das mich mit seiner Melancholie, Düsternis und Schönheit total umgehauen hat, …
… zum anderen „I Love My Computer” von Ninajirachi, das mich wieder aufgestellt hat.
Wer immer noch aufgepeitscht von „BRAT” ist, kriegt hier weitere Stimulation und Serotonin-Geballer.
Aber nur Musikgenießen ist nicht, man muss ja alles zerdenken als Popschreiberin, also lese ich über Ethel Cain nach, dass sie gerade erst einiges an Kritik einheimsen musste wegen rassistisch zu interpretierenden edgy Takes, die sie vor Jahren im Internet gepostet hat, wobei Leute debattieren, ob man mit 19 (ihr Alter damals) schon alt genug ist, um voll verantwortlich zu sein, für das, was man so ins Internet kippt, ob man die Konsequenzen schon voll begreifen kann, ob man überhaupt alles so meint, wie es da steht, ob man schon politisch und moralisch fertig entwickelt ist sozusagen. Ethel Cain (eigentlich: Hayden Silas Anhedönia) hat sich von ihren Aussagen distanziert, gut. Ebenfalls Mitte 20 ist Ninajirachi, die die komplette Y2K-Nostalgie-Schiene fährt und das Internet abfeiert.
Für Mitte 20-Jährige ist aber eh einiges durcheinandergeraten. Während es für männlich sozialisierte Menschen immer recht aufgeräumt aussah (möglichst lange Kindskopf bleiben, dann auf eigene Entscheidung erwachsener Mann als so eine Art Beruf werden, nach Feierabend weiterhin Kindskopf sein), ist es bei uns so, dass wir möglichst früh reif sein sollen, was aber auch nicht bedeutet, erwachsen zu sein, sondern immer nur so ein bisschen so zu tun, damit zu spielen, quasi „barely legal” als Idealzustand, und dann ist es auch schon vorbei (eigentlich alles).
Diskussions-Mittelpunkt des Sommers Sydney Sweeney, ebenfalls Mitte 20 und damit immerhin 12 Jahre älter als die damals 15-Jährige Brooke Shields, deren Calvin-Klein-Werbespot von 1980 im Grunde einfach kopiert wurde, wird sich in der Rezeption ihres Auftritts auch über ihre Uneindeutigkeit herauswinden können.
Es ist diese Uneindeutigkeit, mit der Frauen Mitte 20 rumspielen sollen: Man ist, wer man ist, aber irgendwie auch nicht so richtig. Man soll was darstellen, sich zeigen, damit man begehrenswert (für Männer sexuell, für Frauen als Shoppinginspiration) ist, aber auch noch unsicher, naiv, passiv genug sein, um zerstörbar zu sein. Dieses Alter soll sich neuerdings möglichst weit nach hinten ausdehnen. Umso mehr wird mit Alterszuschreibungen rumexperimentiert, einander Komplimente gemacht, dass man angeblich noch wie Anfang 20 aussähe, umso mehr werden wir subsumiert unter dem Begriff GIRLS, den wir jetzt bis locker 40 tragen können. Da wir aber keine mehr sind, soll unser Erscheinungsbild möglichst verschwommen sein, dafür gibt es dann ganz viel zu kaufen und Filter. Das führt zum Beispiel auch dazu, dass Erwachsene in Serien Teenager spielen (siehe Sweeney und Co. in „Euphoria” – auch da sehen wir vermeintlich starke Charaktere, die Verschiedenes repräsentieren, nach Porno-Normen sexualisiert werden, um dann immer wieder kaputt gemacht zu werden).
Vielleicht stürzen wir uns wegen all dieser nervigen Suppe und den damit einhergehenden Anstrengungen mittlerweile so sehr drauf, wenn Erwachsene einfach ihr Ding machen. Wenn zum Beispiel zwei sichtlich Erwachsene auf einem Coldplay-Konzert shakern und fremdgehen.
Oder wenn sich zwei erwachsene Menschen, die sichtbar altern und nicht allzu viel dagegen tun, ineinander verlieben.
Wir sehnen uns so langsam vielleicht immer mehr nach Beziehungen auf Augenhöhe und Menschen, die möglichst wenig Getue und Maskerade abfeuern, weil wir ahnen, dass wir das auch nicht mehr allzu lange durchziehen wollen.
Darüber denke ich so beim Algenabduschen (komisch unleserliches Wort: ALGEN. ABDUSCHEN.) nach. Ich frage mich, ob es zum Beispiel bei Swift auch „Showwoman” heißen könnte und ob es denn nicht sogar gut wäre, dass das weniger „griffig” klingt. Ob diese ganze Griffigkeit nicht total oll ist. Ob „Show” und „Girl”-sein zusammengehören, ob das Bändchenbasteln zu Swifts Konzerten nicht einfach eine schöne Spielerei für alle sein kann und nicht immer alles GIRLY sein muss. Wann Schluss ist mit dem Jugendwahn, wann Spaß ohne kompromittierende Labels, Ausbeutung und Ausverkauf möglich ist. Vielleicht, wenn wir uns trällernd ins Meer schmeißen? „Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch”, sagte doch schon der alte Kästner. Zurück zu den Algen, grün auf orange.



