Paulas Popwoche: Sounds a bit old
Herbstalben, Serienkritik & Popkultur: Zwischen Blood Orange, ZDFneo, MTV-Nullerjahre und Arte-Doku.
Heute so: Regengeprassel, Pulli an, ich versinke in einer Flut von fantastischen Herbstalben: Big Thief, The Beaches, Wolf Alice, The Beths, Hayley Williams, Teyana Taylor, Laufey …
Blood Orange mit ESSEX HONEY: Der Soundtrack für den Herbst
… und vor allem Blood Orange. Dessen Album ESSEX HONEY und vor allem der Song „The Field“ haben es mir angetan. Hier läuft er auf Repeat. Lasst auch ihr es zu …
Meanwhile: Beschwören edgy Männer im Internet mal wieder den dritten Weltkrieg, als könnten sie es nicht erwarten, so unbetroffen sind sie davon. Und ich erinnere mich, wie oft ich diese Beschwörung seit dem 11. September, der sich gerade erst wieder gejährt hat, von irgendwelchen Kiffer-Thomasen gehört hab. Als gäbe es nicht schon genug Krieg.
„Chabos“ auf ZDFneo: Nullerjahre-Nostalgie mit kritischem Blick
Apropos Männer, die sich und anderen schaden plus Nullerjahre-Nostalgie: Ich habe mir die Serie „Chabos“ von ZDFneo angesehen.
Protagonist Peppi (Johannes Kienast) ist 36 und findet heraus, dass er nicht zum Klassentreffen eingeladen ist. Er will wissen, warum und setzt sich nochmal mit alten Mitschüler*innen und Vorkommnissen (um das Jahr 2006 herum) auseinander.
Da geht’s dann um illegale Videodownloads, sexuellen Missbrauch, generell Misogynie, Fußballwetten, Eltern, Homophobie, Rassismus, das (leider) ganz normale Leben. In den Nullern so wie heute. Man switcht zwischen Storylines von damals und in der Jetztzeit.
Die Serie ist ganz gut, irgendwie Coming-of-Age, aber mit dem Twist, dass 20 Jahre später nochmal drauf geguckt wird. Natürlich auch mit einem kritischen Blick, wegen dem ganzen Sexismus und so. So geht es auch dem sogenannten Trash-TV, der damals seinen Peak hatte, an den Kragen, in dem es immer gegen Arme, Frauen und Dicke ging.
Ich hätte allerdings nicht so dringend eine weitere Geschichte rund um eine Jungsclique gebraucht. Ich glaube, deren Sicht haben wir so langsam oft genug gesehen und wie sehr sie selbst unter ihren Taten leiden, habe ich zum Beispiel ausreichend verstanden. Die Frauen und Mädchen in „Chabos“ sind zwar stark und haben ihre eigenen Dinge am Laufen, sie sind aber trotzdem vor allem Staffage, damit wir den Protagonisten besser verstehen, damit er weiterkommt und sie lassen ihn meist auch zu einfach davonkommen. Dass der Bechdel-Test und die eigene Männerbündelei bei den Machern der Serie in einer Szene selbstironisch kommentiert wird, zeigt auch nur das Problem, was wir momentan so haben mit dem Antisexismus vieler Männer: Man weiß um die Probleme, macht es aber trotzdem – nur mit Augenzwinkern, oder halt mit Bauchschmerzen.
Aber Achtung: Es wurde eine eventuelle zweite Staffel angeteasert, in der der Blick vielleicht nochmal umgedreht wird und die Schwester des Protagonisten erzählt. Hoffentlich wird was daraus.
Von Trash-TV bis MTV: Wie die Nuller uns geprägt haben
Vor allem hat mir diese Serie mal wieder gezeigt, dass die Nuller wirklich keine Zeit sind, nach der man sich zurücksehnen sollte. Sie haben uns ordentlich verkorkst.
Daran stark mitschuldig war natürlich immer MTV, für die sich das bis heute auszahlt. Die VMAs in diesem Jahr haben dementsprechend voll auf 2000er-Retro gesetzt: Ricky Martin, Mariah Carey, Busta Rhymes, Ashlee und Jessica Simpson, Paris Hilton und Sabrina Carpenter und Tate McRae, die sich einen Britney-Ähnlichkeitswettbewerb gaben.
Wann ist das nur endlich vorbei … Ich will meine Nullerjahre-Scheiben einfach ganz hängengeblieben auf meinem Sessel genießen und dafür von jungen Leuten verspottet werden, wie es sich gehört. Sie sollen nicht verstehen, was uns damals umgetrieben hat und warum alle so seltsam aussahen. Es soll „zum Glück heute ganz anders“ sein, „heute sind wir viel weiter“ und so.
Lady Gaga bleibt die Ausnahme
Immerhin: Lady Gagas Auftritt war sehr cool! Und brandnew wie immer!
Syd Barrett & Pink Floyd: Arte-Doku über Kunst und Ausgrenzung
Bezüglich der 60er und 70er muss man aus vielen Gründen auch nicht nostalgisch sein, unter anderem ebenfalls deswegen wie Männerfreundschaften geführt wurden. Darüber musste ich zum Beispiel anlässlich der kürzlich auf Arte ausgestrahlten Doku „Die Geschichte von Syd Barrett & Pink Floyd“ nachdenken. Es geht darum, wie Gründungsmitglied Syd Barrett die ersten Jahre von Pink Floyd prägte, dann aber aufgrund seiner Psyche nicht mehr auf die Weise arbeitsfähig war, wie es nötig gewesen wäre, wenn man im kapitalistischen Sinne erfolgreich sein will.
Und ich habe mir die ganze Zeit ein paar Fragen gestellt: Hatte er nicht vielleicht Recht? Ist das überhaupt gut, sich so einspannen und ausbeuten zu lassen, ist maximaler Gewinn wirklich das was jede*r Künstler*in anzustreben hat? Und wo waren seine Bandkollegen als er das nicht wollte oder konnte? Und wenn es wirklich psychische Probleme waren, also vielleicht sogar eine Erkrankung, hat irgendjemand versucht ihm zu helfen? Wieso war er denn bis zu seinem Tod jahrzehntelang so allein? Mich hat diese Doku, wenn sie auch sehr interessant und voller toller Bilder ist, mit einem flauen Gefühl zurückgelassen. Männer müssen wirklich besser in Freundschaften werden.
Syd Barrett hat übrigens angeblich zu dem Song, den die Band Jahre nach seinem Ausscheiden über ihn geschrieben hat, gesagt: „Sounds a bit old.“ Tja.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.




