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Paul McCartney: Die wichtigsten Alben im Ranking

Welche Alben von Paul McCartney lohnen sich wirklich? Hier geht es zum großen Check.

Liebt ihr die Beatles? Aber den Solokünstler und Wings-Frontmann Paul McCartney fandet ihr schon immer nur hm? Dann wird es Zeit, diese Meinung zu überprüfen, denn es gibt keinen lebenden Künstler, der Popmusik stärker beeinflusst hat als er. „There is a long way between chaos and creation“, sang er selbst – und blieb oft auf halber Strecke hängen. Wenn man aber weiß, wo man hinschauen muss, finden sich Platten in der kreativen Flut, die durchaus an das Schaffen von Pauls anderer Band heranreichen.

GOT TO GET THESE INTO YOUR LIFE

Paul and Linda McCartney: RAM (1972)

„I want a horse, I want a sheep, want to get a good night’s sleep“, singt Paul McCartney in „Heart Of The Country“. Dorthin, aufs schottische Land, flieht er nach der Trennung der Beatles. Ruhe findet er keine: Die ehemaligen Fab Four verstricken sich 1971 in einen jahrelangen Rechtsstreit. Zur Ablenkung stürzt sich Paul in die Arbeit. Jeden Tag entsteht ein neuer Song – 25 insgesamt, elf davon landen auf RAM. Es ist die Platte, mit der er sich von seiner Ex-Band emanzipiert. Als neue Partnerin steht ihm seine Frau Linda zur Seite, eine Protoversion der Wings spielt die Stücke ein. Die Akustik-Gitarre vermittelt Country-Seligkeit, die fein gesetzten Arrangements verschleiern die Komplexität der Kompositionen. Nicht verbergen lässt sich McCartneys Bitterkeit. „You took your lucky break and broke it in two“, ätzt er in Richtung Lennon. Der schießt mit einem eigenen Diss-Track zurück: „How Do You Sleep?“ Pauls geplante Antwort, „Quite Well, Thank You“, bleibt leider ungeschrieben.

Viereinhalb Sterne

Paul McCartney: TUG OF WAR (1982)

Am 8. Dezember 1980 tötet Mark David Chapman John Lennon. Als Paul McCartney am nächsten Tag von Journalisten dazu befragt wird, reagiert er scheinbar kalt: „It’s a drag, isn’t it?“ Seinen Schmerz über den Tod des Freundes lässt er die Welt erst auf diesem Album spüren – ob explizit in „Here Today“ oder versteckt in „Take It Away“ , wo vom „sole survivor carrying the load“ die Rede ist. Ram on – weitermachen. Das Motto von 1972 gilt auch zehn Jahre später. McCartneys Anker bleibt die Musik. Auf den künstlerischen Befreiungsschlag (MCCARTNEY II) folgt der große Pop-Entwurf für die 80er: TUG OF WAR ist kaum weniger eklektisch als die beiden Platten davor. Beatles-Produzent George Martin aber kämmt und schnäuzt diese Lieder, bis zwischen Ballade und Blues auch eine Boogie-Woogie-Nummer passt, und McCartney komponiert so fokussiert wie lange nicht: Das majestätische „Wanderlust“ zählt zu seinen besten Songs überhaupt. Und dann ist da noch das Steve-Wonder-Duett „Ebony And Ivory“ . Fluffig, sicher. Aber wer dieses gut gemeinte Stück 80er-Plüsch 36 Jahre später immer noch hasst, hat kein Herz.

Viereinhalb Sterne

Paul McCartney: CHAOS AND CREATION IN THE BACKYARD (2005)

Was Paul McCartney in all den Jahren nach den Beatles am meisten fehlt, ist jemand, der zu ihm nein sagt. 1989 gibt Elvis Costello seinen widerborstigen Gegenpart, so entstehen die besten Songs auf FLOWERS IN THE DIRT. Im Jahr 2004 sucht McCartney wieder einen kreativen Partner, an dem er sich reiben kann. George Martin empfiehlt Nigel Godrich, den Haus- und Hof-Produzenten von Radiohead. Der ist dafür genau der Richtige. Er verbannt McCartneys Liveband aus dem Studio, ermutigt ihn, so viele Instrumente wie möglich selbst einzuspielen. Nie hat McCartney über die Länge einer Platte so ernsthaft geklungen wie auf CHAOS AND CREATION IN THE BACKYARD. Vielleicht hat es damit zu tun, dass seine Ehe mit Heather Mills zu diesem Zeitpunkt in den letzten Zügen liegt. „Smile when you’re heart is fi lled with pain“, singt Paul. Das hat er sich bei Charlie Chaplin abgeschaut. Thumbs up und alles gut. Diesmal kann die Geste nicht mal ihn überzeugen. Die Melancholie wiegt schwerer als der Optimismus. Und das wirkt fast wie eine Befreiung.

Vier Sterne

WINGS GREATEST

Wings: BAND ON THE RUN (1973)

Vier Jahre wartet die Welt auf die Rückkehr von Paul McCartney, dem Songschreiber und Studiokünstler. Nach drei schratigen Country-Platten und dem fast schockierend mittelmäßigen RED ROSE SPEEDWAY haben die meisten die Hoffnung fast aufgegeben, auch Paul selbst. Und dann entsteht dieses Album – unter schwierigsten Umständen. McCartney will es im EMI-Studio in der nigerianischen Hauptstadt Lagos einspielen, weil das nach einer exotischen Location klingt. Tage vor der Abreise verlassen Henry McCullough und Denny Seiwell die Band. Wings schrumpfen zum Trio: Paul, Linda und Denny Laine. Lagos entpuppt sich als Albtraum. Die ersten Demos werden Paul bei einem Raubüberfall abgenommen. Wie durch ein Wunder stellt er BAND ON THE RUN trotzdem fertig – und nimmt seine geradlinigste Rockplatte auf. Keine zweite verkauft sich 1974 öfter im United Kingdom und in Australien. Das Titelstück, „Jet“ oder „Helen Wheels“ hört man bis heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, wenn man zu jedem beliebigen Zeitpunkt in den USA durchs Radio zappt. „Let Me Roll It“ erinnert an John Lennon, „No Words“ an George Harrison. Vielleicht können sich deshalb alle auf BAND ON THE RUN einigen: weil sich die Beatles in den 70ern genauso anhören hätten können.

Fünf Sterne

Wings: BACK TO THE EGG (1979)

Nach dem soften LONDON TOWN will BACK TO THE EGG anscheinend zurück zu den Rock’n’Roll-Roots. Die Singles „Getting Closer“ und „Old Siam, Sir“ rocken härter als die Wings je gerockt haben. „Spin It On“ erinnert gar an „I Feel Alright“ von den Stooges. Punk mag McCartney inspiriert haben, dessen nihilistische Zerstörungswut ist ihm fremd. Unter dem Namen Rockestra triff t sich auf Seite B das Rock-Establishment von Pete Townshend bis John Bonham zu einem minutenlangen Sinnlos-Jam. Am anderen Ende der Skala stehen der zukunftsweisende Synth-R’n’B von „Arrow Through Me“ und „Million Miles“, ein aus der Konzertina gequetschter Gospel. Das classy swingende „Baby’s Request“ schickt die Wings in die gute Nacht. Ein Konzeptalbum?  „Eher ein Bombcept-Album“, sagt McCartney. Good one, aber nur in kommerzieller Hinsicht zutreffend. Künstlerisch ist BACK TO THE EGG eine seiner vielseitigsten Platten.

Vier Sterne

CHAOS AND CREATION

Paul McCartney: MCCARTNEY II (1980)

Am Ende der 70er war McCartney weit gekommen – und doch wieder dort, wo er die Dekade begonnen hatte. Wieder hatte er eine Band in den Olymp geführt, wieder war er dieser Band überdrüssig. Im Januar 1980 wird McCartney am Flughafen in Tokio verhaftet, weil er Marihuana mit sich führt – ein unbewusster Akt der Selbstsabotage, wie er später sagt. Nach neun Tagen im Gefängnis kehrt er heim auf seine Farm in Schottland. Dort arbeitet er sich zurück zur Musik, alleine, so wie auf MCCARTNEY zehn Jahre zuvor: MCCARTNEY II. Diese Version ist versponnener, Synthesizer und Sequencer zählen jetzt zum Inventar des Home Studios, Elektro-Instrumentals stehen neben Blues-Fingerübungen. Die Hälfte davon braucht kein Mensch, die andere erstrahlt im Glanz ungebremster Kreativität: „Waterfalls“ , das irre „Temporary Secretary“ , eine Blaupause für Hot Chip. Und natürlich „Coming Up“ , das in einer Live-Version der letzte Nummer-1-Hit der Wings wird. Als John Lennon, den Song im Radio hört, beendet er seine Schaffenspause. Auch zehn Jahre nach dem Ende der Beatles war ihre Konkurrenz offenbar der stärkste kreative Motor für John und Paul.

Dreieinhalb Sterne

LET IT BE

Paul McCartney: GIVE MY REGARDS TO BROAD STREET (1984)

Wer Paul McCartney 100 Minuten lang mit leerem Dackelblick durch London laufen sehen will, dem sei der Film „Give My Regards To Broad Street“ ans Herz gelegt. 1984 interessieren sich nur wenige Kinobesucher dafür. Der Soundtrack erreicht trotzdem die Spitze der Charts. „No More Lonely Nights“, die Power-Ballade mit Gilmour-Solo, kann auch die Herzen junger Hard-Rock-Hupfer verzücken. Der Rest der Platte besteht aus überflüssigen Neuaufnahmen von Beatles- und Wings-Hits sowie damals noch relativ neuer Songs wie „Wanderlust“.

Zwei Sterne

AND IN THE END …

… ist man auch mit einer Greatest-Hits-Sammlung gut beraten, weil viele von McCartneys besten Songs entweder nur als Single erschienen („Another Day“, „Live And Let Die“ , „Goodnight Tonight“) oder auf durchschnittlichen Alben vergraben sind („Calico Skies“ vom altersschwachen FLAMING PIE oder „My Love“ , das auf dem RED ROSE SPEEDWAY überfahren wird). Die Deluxe-Edition von PURE MCCARTNEY (Sechs Sterne) (2016) hebt fast alle dieser verborgenen Schätze und enthält auch „Sing The Changes“ vom hörenswerten The-Fireman-Projekt, das McCartney seit 1993 mit Youth betreibt. Wem 67 Tracks auf einmal zu viel sind, der kann auch zu WINGSPAN: HITS AND HISTORY (Sechs Sterne) (2001) greifen. Das hält, was der Titel verspricht und vereint das Wichtigste der Wings von „Listen To What The Man Said“ bis „Silly Love Songs“ . 40 Lieder – weniger dürfen es aber auch wirklich nicht sein.