Nachruf

Ozzy Osbourne: Einer von uns

Ozzy Osbourne ist tot. Die Welt weint. Wir weinen mit. Bittere Tränen, schwer wie Stahl.

Ozzy war einer von uns. Darum geht‘s. Das ist sein Geheimnis. Das ist seine Superkraft. Da war keine Trennung zwischen ihm, dem Prince of Darkness, dem Madman oder welchen blödsinnigen Titel er auch immer sich gegeben haben mochte, weil er wusste, dass wir darauf abfahren würden, und uns, seinen Fans, die wir uns in ihm sahen und er sein wollten und an seinen Lippen hingen, wenn er von den Kindern des Grabes (ganz sicher meinte er uns!) sang, dem Symptom des Universums oder einfach nur dem Sabbath Bloody Sabbath: „Living for dying, dying just for you“. Wir hätten auch er sein können. Immer konnte man sich vorstellen, an seiner Stelle zu sein, ganz einfach den Platz mit ihm zu wechseln. Ozzy sang nicht und sah ganz gewiss nicht aus wie ein junger Gott wie ein Robert Plant, er hatte keine virile Stimme und angeschwitzte männliche Ausstrahlung wie ein Ian Gillan. Und ganz gewiss war er kein gockeliger Hagestolz wie Jagger.

Ozzy Osbourne war der pummelige Junge aus der Nachbarschaft, der sein Glück nicht fassen konnte, dass sich alle die Träume erfüllten, die er geträumt haben mochte in dem winzigen Reihenhaus in Birmingham, zwei Zimmer, sechs Kinder, ein Fenster. Dass er mit Black Sabbath vor tausenden ihm zujubelnden Jugendlichen auf der Bühne stehen durfte, mit beiden Armen Friedenszeichen verteilend, auf und ab springend wie ein Blödmann. „We love you“ and „Alright now“ rief er dann, wenn er zu Beginn der Karriere nicht einmal in der Mitte der Bühne stand, sondern auf der linken Seite: Das Spotlight gehörte Gitarrist Tony Iommi, der mit Bassist Geezer Butler und Drummer Bill Ward ihre Musik nicht spielte, sondern ARBEITETE, in der Fabrik des Schwermetalls mit tiefer gestimmten Instrumenten ein zeitloses tonnenschweres Riff auf das andere türmte, das Fundament legte für eine Musik, die wir heute, 55 Jahre später, als Heavy Metal identifizieren. Damals waren Sabbath eine Anomalie, ein ungelenkes, taumelndes Ungetüm, vermeintlich ohne Eleganz, ohne Leichtigkeit, ohne Groove, verlacht von der Musikpresse und dem Establishment, geliebt nur von Frank Zappa und den Kids, also von denen, auf die es ankommt.

Ozzy stand am Rand, als würde er zusehen, als gehörte er gar nicht dazu. Bis er seine Stimme erhob, dieses markerschütternde und unverkennbar leiernde Organ, das sich nicht durch technische Finesse oder großen Umfang auszeichnete, sondern durch den einfachen Umstand, dass sie so klang wie Ozzy. Und nur Ozzy. Immer nur Ozzy, das Schmuddelkind mit ausgeprägtem Minderwertigkeitskomplex, dem man den Schlüssel zum Spielzeugladen in die Hand gedrückt und gesagt hatte: Und jetzt spiel! Und Ozzy spielte. Wie er spielte! Wenn auf der Party nach der Show ein Tisch voller Koks stand, konnte man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass er es sein würde, der sein ganzes Gesicht in das weiße Puder steckt. Wenn jemand die Schnapsidee hatte, man könnte sich für eine Fotosession mit zerzausten Haaren und runtergelassenen Hosen auf die Kloschüssel setzen und der Kamera mit einem exotischen Cocktail zuprosten, dicht wie eine Haubitze, dann machten das nicht Iommi, Butler oder Ward, sondern der Klassenclown der Band. Wenn irgendeine Pappnase bei einem Konzert eine lebendige Fledermaus auf die Bühne warf, wie das zuvor schon hunderte mit Gummifiguren gemacht hatten, dann standen die Chancen gut, dass Ozzy nicht groß nachdachte und ihr den Kopf abbeißen würde. In einem Cartoon der Zeit sieht man eine Fledermaus-Mama, die ihrem Jungen gut zuredet, das nicht einschlafen kann: „Zum letzten Mal, Sohn, Ozzy ist nicht unter deinem Bett.“ Metal-Humor. In dem Dokumentarfilm „Decline of the Western Civilization Part II: The Metal Years“ aus dem Jahr 1988 steht er mit Morgenmantel bei sich in der Küche, bereitet sich ein Frühstück, vergießt Orangensaft und philosophiert über das Leben auf der Überholspur: „In the end disaster happens.“ Alright now.

Lest den ganzen biographischen Schmu auf Wikipedia nach. Harte Kindheit, gerettet vom Rock’n’Roll, acht Alben mit Black Sabbath bis zum Rauswurf, Absturz, Alkohol, Drogen, Entzug, Neuerfindung als Ozzy zu Beginn der New Wave of British Heavy Metal, jetzt gerettet von seiner Frau Sharon Osbourne, die seine Managerin ist und aus ihm die Legende macht, als die man ihn heute feiert, und eine Weile später auch noch zu einem der ersten Superstars des Reality TV mit der MTV-Serie „The Osbournes“, jetzt schon so etwas wie eine Selbstparodie, als wäre Ozzy Osbourne gar nicht mehr er selbst, sondern würde von einem Muppet gespielt werden. Aber hey, das Geld rollte rein, immer wieder, immer mehr, mit der Metal-Extravaganz Ozzfest, die alle möglichen Größen der Musik versammelte und auf Tour gehen ließ, immer mit diesem liebenswerten Proll als Headliner, als Gottvater, als Aushängeschild. Als Ozzy. Dann Reunionen mit Black Sabbath, Aussöhnung mit Tony Iommi, der ihm das Leben einst so schwer gemacht hatte, wie man einem vermeintlichen Freund das Leben nur machen kann. Mal mit Bill Ward als Drummer und ohne. Endloses Hin und Her, ewiges Drama, das ihm folgte, wo immer er auch seinen Rock’n’Roll hinbrachte. 2017 dann THE END, die letzte Tour mit Black Sabbath, letztes vollständiges Konzert im Februar in der Heimatstadt Birmingham. Und doch nicht das Ende, nie das Ende. Obwohl im Januar 2020 bekannt wird, dass Ozzy an einer besonders aggressiven Form von Parkinson leidet, verstärkt durch den jahrzehntelangen Raubbau am eigenen Körper. Drei Jahre später verabschiedet er sich von der Bühne.

Am 5. Juli 2025 kehrt er doch wieder zurück. Back to the beginning, nennt sich die Veranstaltung, generalstabsmäßig und perfekt geplant und umgesetzt, wie nur Sharon Osbourne es kann. Im Fußballstadion vor den Toren von Birmingham haben sich um Black Sabbath endlich noch einmal in Originalbesetzung mehr oder minder alle Größen des Heavy Metal versammelt, um der Band zu huldigen, ohne die es sie alle nicht gegeben hätte. Metallica, Slayer, Anthrax, Pantera, Mastodon, Gojira, eine grottenschlimme All-Star-Band. Alle spielen nur ein paar Songs, jede von ihnen mindestens ein Sabbath-Cover. Am Schluss dann Black Sabbath. Vier letzte Songs. Ozzy kann aufgrund seiner Krankheit nicht mehr gehen, sitzt auf einem schwarzen Thron und sieht zum Gotterbarmen aus. Für ein paar Kröten wird der Event live in die Welt gestreamt. Als es passiert, ist es, seien wir ehrlich, ein unwürdiges, ein trauriges Spektakel, ein Kasperletheater in Schwarz, sinnbefreit und hohl bis zum Anschlag. Und, wie wir jetzt wissen, doch mehr, tatsächlich eine Gelegenheit sich zu verabschieden, die eigene Tribute-Show nicht nur mitzuerleben, sondern in ihrem Mittelpunkt zu stehen. In the end disaster happens. Etwas mehr als zwei Wochen später ist Ozzy tot, im Beisein seiner Familie entschlafen, 76 Jahre alt, jedes einzelne davon gelebt wie ein ganzes Leben. Living just for dying, dying just for you.

Ozzy war einer von uns. Wie keiner von uns. Wie kein anderer, der war, der ist, der kommt. We love you.

John Michael Osbourne. Geboren am 3. Dezember 1948. Gestorben am 22. Juli 2025. Der King of Darkness ist tot. Lang lebe der King of Darkness. Fucking Sabbath. Fucking Ozzy.