Nine Inch Nails & Trent Reznor: Die wichtigsten & schlechtesten Alben im Ranking
Welche Platten braucht man unbedingt, welche eher weniger? Wir checken.
Michael Trent Reznor ist Nine Inch Nails, als Band erscheint das Projekt nur auf der Bühne. Reznor verbindet Bowie mit Autechre, Depeche Mode mit Pink Floyd, das Stahlpresswerk mit der Blumenwiese. Wir blicken auf sein bisheriges Schaffen zurück und sagen, was sich lohnt, was nicht und was vielleicht.
MUSST DU HABEN
Nine Inch Nails: The Downward Spiral (1994)
Dieses Album war das, was man eine existenzielle Setzung nennt. Sozusagen die 8-Bit-Version des Grunge. Reznor hatte sich zu den Aufnahmen in dem Haus eingemietet, in dem Anhänger von Charles Manson 1969 unter anderem Sharon Tate ermordeten, ein Wendepunkt in der popkulturellen Geschichte der USA, und schrieb – popkulturelle Geschichte. Nahm Bowie, Bauhaus, Soft Cell, Joy Division, Wut, Verzweiflung und Hass und verschweißte alle diese Elemente mit großem Songwriting zu einer eisernen, rostenden und zersplitterten Skulptur des modernen Lebens. Ein Soundtrack zum Ritzen, ein rasender Ritt in den Abgrund. Was weh tat und irritierte an dieser sperrigen Musik, von den industriellen Elementen über verstörende Klangzitate aus Filmen bis zur delirierenden E-Gitarre von Adrian Belew (King Crimson), das machten immer wieder aufblitzende Harmonien erträglich. Wie zum Heulen schön diese Harmonien waren, zeigte Jahre später Johnny Cash, als er „Hurt“ ganz nackt coverte: „I hurt myself today to see if I still feel“.
Sechs Sterne
Nine Inch Nails: The Fragile (1999)
THE FRAGILE ist die Antwort auf die Frage, was nach THE DOWNWARD SPIRAL noch kommen könnte. Fünf Jahre hatte Reznor ins Land gehen lassen, in denen er als künstlerischer Mäzen mit Marilyn Manson eine geisterbahnhafte Karikatur von sich selbst in die Charts schickte, bevor er mit dieser selbstgewundenen Schmerzenskrone um die Ecke kam. Mit einem sehr opulenten Ausfallschritt in den Prog. Vom Titel, der an Yes erinnert, bis zur Mitarbeit von Bob Ezrin, der auch schon bei Pink Floyd hinter den Reglern saß. Und genau das ist THE FRAGILE auch inhaltlich: das THE WALL der Neunzigerjahre. Der vertonte Selbstmordversuch von THE DOWNWARD SPIRAL ist gescheitert, das Elend geht 103 Minuten weiter. Nur sind hier die Melodien noch mächtiger, die Gitarrenschichten noch dicker, die Beats noch heftiger. Und noch vielschichtiger, von den tragenden Balken aus Synthesizern und verzerrten Stimmen bis zu einem Fundament aus mikroskopischstem Fiepen und Wimmern. Mit THE FRAGILE sind Nine Inch Nails zur Gänze ausformuliert. Alles ist gesagt.
Sechs Sterne
Nine Inch Nails: Broken (1992)
Nach dem Erfolg seines Debüts PRETTY HATE MACHINE verstrickte sich Trent Reznor in einen hässlichen In-Fight mit seiner damaligen Plattenfi rma TVT, die gerne mehr Einfluss auf sein Material genommen hätte. Neben der Abwärtsspirale und dem Zerbrechlichen gehört die Zerbrochene zu den obligatorischen Platten von NIN. Was später ausgearbeitet und in andere Sprachen übersetzt, dabei auch milder wurde, liegt auf dieser EP als roher Diamant vor. Eine bessere Einführung ins Werk kann es nicht geben als diese intensive und sehr böse halbe Stunde, die man ebenso gut in einer Fabrik verbringen könnte, in der Stahlplatten in Form gehämmert werden – produziert dann doch vom guten Flood (U2, Nick Cave, Depeche Mode). Instrumentell klingt BROKEN, als hätte Aphex Twin einen Schlaganfall und würde durch eines dieser Geräte singen, mit denen Kehlkopfkrebspatienten sprechen können („Gave Up“) . Unterbrochen wird das Massaker immer wieder von gesanglosen Passagen („Help Me I Am In Hell“ ) von verträumter Melancholie und Schönheit.
Fünfeinhalb Sterne
KANNST DU HABEN
Trent Reznor & Atticus Ross: The Social Network O.S.T. (2010)
Für den Soundtrack zum Film von David Fincher sprang Reznor über seinen Schatten und arbeitete nicht allein, sondern zusammen mit dem Briten Atticus Ross (seit 2016 offizielles NIN-Mitglied) an möglichst düsteren, aber hochdynamischen Klangflächen. Es ist sozusagen Dark Ambient, aber mit sehr starken Elektromotoren, und verbindet kompositorisch Edvard Grieg mit Lustmord. Spürbar ist die Reznor’sche Wut, hier aber transzendiert in wahrhaft illuminierte Dunkelheit, durchperlt von Pianos und wie durch einen Weichzeichner gesehen. Für ihre Fähigkeit, komplett wortlos und nur durch Klänge die komplette Achterbahn menschlicher Gefühle auszudrücken, bekamen Reznor und Ross 2011 den Oscar.
Sechs Sterne
Nine Inch Nails: Ghosts I-IV (2008)
Diese vier skizzenhaften Suiten sind, wenn man so will, Vorzeichnungen zu THE SOCIAL NETWORK. Abwesend ist nicht nur Atticus Ross, sondern auch jeder Zug zu Dramatik und Dynamik. Wenn Nine Inch Nails Industrial sind, dann ist diese Musik hier das nächtliche Flackern der Notbeleuchtung in der Fabrik. Überraschend zarte Etüden, sehr sporadische Gitarren, hier ein Tupfer, da ein Fleck – fertig. Die Stimmung schwankt zwischen dem Ambient eines Aphex Twin, der Versonnenheit eines Erik Satie und der absoluten Abstraktion. Reznor veröffentlichte GHOSTS I-IV zunächst in einer Vielzahl an Formaten, unter anderem einer Gratisversion mit den ersten neun von insgesamt 38 Stücken, ohne Major-Deckung über die NIN-Homepage und hatte damit nach nur einer Woche bereits 1,6 Millionen Dollar verdient.
Fünf Sterne
Nine Inch Nails: Further Down The Spiral (1995)
Wenn aus heutiger Sicht und mit heutigen Ohren etwas an THE DOWNWARD SPIRAL zu beanstanden wäre, dann der Zeitpunkt und die damals vorliegenden technischen Bedingungen der Entstehung. Kurz gesagt: Es altert hier und da, weil die Methoden fortgeschritten sind inzwischen. Hier kommt FURTHER DOWN THE SPIRAL ins Spiel, weil es, nur ein Jahr nach dem Original, Remixe und interessante Überarbeitungen von unter anderem Rick Rubin (der später Johnny Cash zu „Hurt“ überreden sollte) und Aphex Twin enthält. Kein Staub. Überraschung: Wenn etwas, das schon Dekonstruktion ist, weiter dekonstruiert wird, kommt eine feine Konstruktion dabei heraus.
Fünf Sterne
KANNST DU VERGESSEN
How To Destroy Angels: Welcome Oblivion (2013)
Was man halt macht, wenn man alles gemacht hat: Reznor spannt zwei Kumpels (Atticus Ross, wen sonst, und Rob Sheridan) zu einer Band (!) zusammen. Mit seiner Frau Mariqueen Maandig als Sängerin. Anders als bei Ehepaar-based Bands wie Wings, Sonic Youth und Dead Moon war das hier aber keine gute Idee. Dünner Aufguss, leider. Das Album wurde kein nennenswerter Erfolg. Seit Jahren hat man nichts mehr von dieser Band gehört – vielleicht ein gutes Zeichen.
Zwei Sterne
Nine Inch Nails: The Slip (2008)
Vier Monate nach GHOSTS I-IV verschenkte Reznor dieses Album im Internet – „This one’s on me“, hieß es in einem Statement. Einem derartigen Gaul schaut man zwar nicht …, aber diese Platte hätte sich Reznor sparen und uns ersparen können. Songs wie „Letting You“ hatte er zuvor schon gemacht, und besser. Auch wirkte die Thematik, das Böse, die Klage, das Leid, hier etwas verbraucht und müde.
Drei Sterne
Trent Reznor: Quake O.S.T. (1996)
Ein Fall für Archäologen, weil Reznor hier erstmals dunklen Ambient produziert. Das tun aber zu jener Zeit schon andere besser (und dunkler) – und er tut es für ein Computerspiel. Es wabert und spukt, quietscht und wimmert, knarzt und dräut, als käme jeden Augenblick ein schlecht gerendertes Monster aus dem Schrank. Und immer fürchtet man, dass gleich der Bildschirm einfriert. Eine Fingerübung, das schon. Aber keine sonderlich interessante.
Ein Stern


