Mia Morgan im Fokus: „Wir haben jetzt einen kleinen Kult“
Kassel statt Berlin, Emo-Rock statt Pop, Cliquen-Business statt Plattenfirma. Bei ihr stehen die Zeichen auf Umbruch.
Das Erste, was einem beim Hören von SILBER, dem neuen Album von Mia Morgan (Release bereits am 21. März 2025), auffällt, sind Gitarren, Gitarren, Gitarren. FLEISCH, das 2022er-Vorgängeralbum, klang noch anders – nach Synthie-Oldschool-Teenpop, Achtziger-Referenzen en masse. Heute dagegen Emo-Gitarren, Bring Me The Horizon statt The Human League und Ultravox. Härtere Musik, so erzählt Mia Morgan im Interview, hätte ihr selbst stärker am Herzen gelegen.
Zurück zum Anfang
Mit zehn oder elf begann sie Bands zu entdecken, Rock und Metal. „Als ich zuerst mehr Eighties inspirierte Musik machte, habe ich ein bisschen kalkulierter überlegt, mit was für Genreklischees ich spielen möchte.“ Zum Beispiel in „Waveboy“, einem der schönsten deutschsprachigen Popsongs der 2010er Jahre. „Bei der neuen Platte habe ich mich nun gefragt, was macht denn eigentlich Bock aufzunehmen, zu produzieren und auf Bühnen zu spielen?“ Also ein Zurück zum Anfang. Einmal musikalisch zu der Musik, die sie vor allen Konzeptüberlegungen machen will (wobei der Synthiepop auf SILBER immer noch durchschimmert, zum Beispiel in „Gift“).
Was sagt man dem jüngeren Selbst?
Dann zurück an den Heimatort, von Berlin zurück nach Kassel. Der neue alte Wohnort sei aber nicht entscheidend, man könne schließlich überall Musik machen. Und dann richtet sich der Blick in mindestens zwei Stücken– „Echo“ und „VaterMutterTochter“ – zurück auf den Menschen, der man war. Im Falle des Videos zu „Echo“ mit VHS-Home-Recordings der jungen Mia Morgan, die für ihre Familie singt. „Ich mag diese Formulierung mit dem inneren Kind nicht so gerne, weil das so eine Floskel geworden ist. Aber es ist ja was dran. Als kleines Kind bekommt man vermittelt, dass du alles werden kannst, was du willst.“ Als Erwachsene realisiert man dann, dass sich das mit dem Künstler:innenleben um einiges schwieriger darstellt. Keine Wohnung mehr in Berlin, die Zusammenarbeit mit dem Label endete nach dem ersten Album, der große Mainstream-Erfolg stellte sich doch nicht ein. „Wenn ich mein jüngeres Selbst treffen könnte, würde ich ihr dann sagen, wie scheiße es sein kann? Also: ‚Ja, wir leben deinen Traum, aber wir haben kein Geld, aber Existenzängste und Komplexe.‘ Oder würde ich sie in diesem Traum lassen: ‚Du hast es geschafft und stehst auf einer Bühne. Du bist das geworden, was du werden wolltest.‘“
Die „eigene queere Sekte“
Der Weg zum zweiten Album war nicht leicht, auch weil Mia Morgan inzwischen alles selbst macht – ohne Label, dafür mit Freund:innen. Produzent Lukas Korn spielt Gitarre in ihrer Band … Vertrieb, Merch, Coverart, Videos: Alles wird zusammen mit Leuten aus der eigenen Bubble entwickelt und durchgezogen. „Über die Jahre ist eine Base aus Leuten entstanden, die kommen auf alle Shows und die unterstützen mich, wo sie nur können.“ Und die bekommen nun im charmant blasphemischen Video zu „1000 kleine Tode“ ein Denkmal gesetzt: Mia Morgan mit Dornenkrone in einem Letztes-Abendmahl-Setting – um sie herum Menschen, die sich sehr unkatholisch aufführen. „Das sind mehr als Fans. Wir haben jetzt einen kleinen Kult. Eine eigene queere Sekte.“
Alles selbst gemacht
SILBER will mit allem nach vorne, ist energiegeladen und radikal independent: Alles selbst gemacht mit Leuten, denen die Künstlerin vertraut. Auf Freundschaften statt Geschäftsbeziehungen setzen. Ein zeitgemäßer Zug in Zeiten von Influencer:innen-Pop und verloren gegangener Plattenfirmen-Allmacht.
Lest unsere SILBER-Albumreview hier in Gänze.
Text / Interview: Benjamin Moldenhauer



