Lou Reed: Die besten und schlechtesten Alben im Ranking
Eine Kaufanleitung zu Lou Reed – von Meisterwerken bis zu eher vernachlässigbaren Alben.
Zwei Alben lang lebten The Velvet Underground von den kreativen Spannungen zwischen Lou Reed und John Cale. Dann stellte Reed die Band vor die Wahl: er oder ich? Cale ging, die Gruppe spielte zwei stark vom neuen Alleinherrscher geprägte LPs ein. Nachdem Reed The Velvet Underground noch vor Veröffentlichung des Albums LOADED (1970) verließ, zog er sich zunächst zurück, jobbte in der Steuerberatung seines Vaters. Die Karriere hätte hier enden können – tat sie aber nicht. Es folgten Meisterwerke, großer Quatsch und versteckte Peaks.
Lou Reed: Startpunkt
TRANSFORMER (1972)

Den ganz großen Alben der Rockhistorie gelingt es, sich immer wieder neu ins Game zu bringen. TRANSFORMER, co-produziert von David Bowie, ist eine solche Platte. Als sie 1972 erschien, reagierte die Kritik teilweise allergisch, der US-Rolling Stone schrieb von „artsyfartsy kind of homo stuff“. Weitaus offener zeigte sich das Publikum: Das Album führte Lou Reed erstmals in die Charts, nach den kommerziell erfolglosen Jahren mit The Velvet Underground und seinem gefloppten Solo-Debüt eine Genugtuung. Im Laufe der Jahre wurde TRANSFORMER immer wieder neu entdeckt, zum Beispiel beim Kinostart vom Film Trainspotting, in dem PERFECT DAY eine besondere Rolle spielt.
Der Song ist einer von mehreren perfekten Momenten: WALK ON THE WILD SIDE, SATELLITE OF LOVE – auf TRANSFORMER finden sich die Klassiker. Nebenbei erfindet Reed mit VICIOUS auch noch Industrial-Rock. Zum Weiterlesen: Ezra Furmans großartige Abhandlung über das Album im Rahmen der Buchreihe 33 1/3.
★★★★★
Städte
BERLIN (1973)

„Eins, zwei, drei, Gsuffa“ – das ist zwar eher München als Berlin, aber Hauptsache Deutsch: Das Titelstück zum Auftakt beginnt mit gruseligen Bierzelt-Recordings, die folgende Pianoballade führt weg vom Glam, hin zum Barjazz-Piano, den im gleichen Jahr auch Tom Waits auf die Agenda brachte. Reed nutzt Berlin als Kulisse für eine tragische Romanze zwischen Sucht und Selbstaufgabe, Tod und Trauer. Der Sound ist zugleich opulent und zerschossen, in Stücken wie LADY DAY schwebt der Geist des „Cabaret“ mit, MEN OF GOOD FORTUNE ist eine perfekte Komposition, die drei langen Brocken am Ende kosten Kraft, am Schluss des selbstmitleidigen SAD SONG erhebt sich der Protagonist aber noch einmal, das traurige Ende wird zur Hymne, die Streicher und Flöten jubilieren. BERLIN ist vor allem: eine göttliche Komödie.
★★★★★
NEW YORK (1989)

Die 80er-Jahre waren nicht sein Jahrzehnt gewesen, da erging es Reed wie Dylan, Bowie, Iggy Pop und vielen anderen. Erst zum Ende der Dekade fand er den Weg zurück in die Spur, indem er NEW YORK porträtierte, damals eine Stadt, die nicht weniger gelitten hatte als er. Die Themen drängen sich auf, HALLOWEEN PARDE gedenkt den an AIDS Verstorbenen, DIRTY BLVD. kontrastiert den enormen Reichtum und das extreme Elend, zwischen denen in New York City oft nur zwei Häuserblocks liegen. Platz für Romantik bleibt auch: ROMEO HAD JULIETTE ist ein Song über die Möglichkeiten der Liebe in New York; The Hold Steady haben auf Basis dieses einen Songs ihre ganze Karriere gestartet.
★★★★★
Scharaden
CONEY ISLAND BABY (1975)

Bemerkenswert: Erst setzte Reed seine gerade erst gestartete Karriere Mitte der 70er-Jahre mit miesen und miesepetrigen Werken beinahe in Sand, dann erfand er mit CONEY ISLAND BABY den Indie-Pop-Sound: sanfte Drums, trockener Bass, verzierende Gitarren – CRAZY FEELING oder CHARLEY’S GIRL dienten The Wave Pictures, Belle & Sebastian und vielen anderen als Blaupause. Der Titeltrack am Ende der Platte ist eines von Reeds besten Erzählstücken: eine Story über die Adoleszenz im Zeichen der entdeckten, versteckten, schließlich ausgelebteten Homosexualität – „glory of love, just might come through“.
★★★★★
STREET HASSLE (1987)

Stell dir vor, du hattest mit deiner alten Band die Grundlage für eine gigantische Rockrevolution gelegt – und stehst nun vor der Aufgabe, selbst etwas Neues auf die Beine zu stellen. Als Punk, Postpunk und New Wave durch die Decke gehen, beziehen sich alle plötzlich auf The Velvet Underground. Und was macht Lou Reed? Der holt sich Bruce Springsteen an seine Seite, den Heartland-Rocker, der seit BORN TO RUN ein ziemlicher Superstar ist, Punk aber komplett umschifft. Zu hören ist er als Sprecher im finalen Part der dreiteiligen titelgebenden Suite STREET HASSLE, ein kammermusikalisches Outsider-Drama, elf Minuten lang, unfassbar gut. Da spielt es fast keine Rolle, dass einige der anderen Songs von STREET HASSLE etwas orientierungslos vor sich her stampfen.
★★★★☆
THE BLUE MASK (1982)

Eine cleane Platte: Lou Reed war kurz vor seinem 40. Geburtstag von den Rauschmitteln weggekommen, THE BLUE MASK wirkt beinahe streberhaft, die Band spielt exzellent, verzettelt sich beim Titelstück im Hi-Fi-Rock, stachelt Reed beim Cold-Turkey-Song WAVES OF FEAR zu einer Höchstleistung an: So viel Emphase war selten. Auch UNDERNEATH THE BOTTLE verhandelt das Suchtthema, das Männlichkeitsgetöse von Stücken wie WOMEN oder HEAVENLY ARMS ist ätzender Zynismus. Lou Reed versucht sich mit diesem Album im Mainstream-Rock der frühen 80er-Jahre zu etablieren, wirkt aber trotz aller Anstrengungen fehl am Platz. Genau diese Ambivalenz macht THE BLUE MASK so interessant.
★★★★☆
Trauer
MAGIC AND LOSS

Nach SONGS FOR DRELLA bleibt Lou Reed beim Thema Tod, erneut wählt er seine Worte sehr wachsam, vorbei die Zeit, als Reed als Texter jede Provokation mitnahm: Der Lyriker nimmt sich nun sehr ernst, was schon die Zusatztitel der Songs zeigen: THE THESIS, THE SITUATION, am Ende eine SUMMATION – MAGIC AND LOSS pendelt zwischen Akademie und Poesie. Die Platte klingt dadurch stellenweise langatmig, hat aber ihre Momente. Falls jemand von einem Zusammentreffen von Leonard Cohen und den Dire Straits träumt, es würde klingen wie MAGICIAN. DREAMIN‘ ist ein unverhoffter Ausflug in die Welt der Ambient-Musik: Yoga mit Lou Reed? Here you go. Wer mehr davon will: Reeds New-Age-Album HUDSON RIVER WIND MEDITATIONS (2007) ist so übel nicht.
★★★★☆
SONGS FOR DRELLA

Als Andy Warhol im Februar 1987 stirbt, finden Lou Reed und John Cale noch einmal zusammen, es ist ihre erste Zusammenarbeit seit der Velvet-Underground-Anstrengung WHITE LIGHT/WHITE HEAT und dem Ausstieg Cales auf Druck von Lou Reed. Hier schwelgen die beiden Egomanen also in Erinnerungen, schreiben und arrangieren 15 Songs, die bis heute jedes Biopic über Warhol unnötig machen: In dieser Musik steckt alles! Als Instrumente reichen Cales Piano und Reeds Gitarre aus, nur ab und an dröhnen magische Keyboards, manchmal spielt Cale seine Viola.
Die Lieder über Warhols Kindheit berühren, unfassbar gut ist STYLE IT TAKES über die Gründungsphase von The Velvet Underground. Am Ende schicken Reed und Cale einen letzten Gruß an ihren Möglichmacher: HELLO IT’S ME handelt von den verpassten Begegnungen in Warhols letzten Lebensjahren, aber auch von finalen Verletzungen und offenen Wunden: „You hit me where it hurt / I didn’t laugh / Your diaries are not a worthy epitaph.“
★★★★★★
Quatsch
METAL MACHINE MUSIC / SALLY CAN’T DANCE / LULU / THE RAVEN
Wäre METAL MACHINE MUSIC, Lou Reeds beinahe Karrierekiller-LP von 1975, ein Werk von Tim Hecker oder Nurse With Wound, würden wir es dann in den Himmel loben? Wer weiß – in diesem Kontext bleibt es: willkürlicher Krach. Und doch: geiles Konzept! Dafür: ★★★

Weitaus ärgerlicher: die polierte Glamrock-Sause SALLY CAN’T DANCE. Reed hatte ein paar stabile Songs, doch durfte man sie nicht so spielen. Ein kommerzieller Erfolg war die LP dennoch – trotz des scheußlichen Covers. ★★★

Und dann ist da LULU, das Ding mit Metallica, das zehn Jahre nach dem ersten Schock weiterhin klingt, als hätten die Metal-Streber aus dem Musik-LK Gedichte ihres Vertrauenslehrers vertont. ★

Einen differenzierteren Blick verdient THE RAVEN, Lou Reeds Hommage an Edgar Allan Poe. Der Anspruch, unbedingt als Kunstwerk rezipiert werden zu wollen, liegt dem Album schwer auf den Schultern, es wirken Schauspieler*innen mit, dazu Gäste wie David Bowie, Ornette Coleman, Anohni oder Lebensgefährtin Laurie Anderson, die mit ihren Beiträgen das Gewicht der Aufnahmen weiter erhöhen sollen. Vom ersten bis zum letzten Ton bleibt die Angst, das Werk könnte unter diesem Druck in sich zusammenfallen. Und doch bleibt die wirre Lyrik-Revue bis zum Ende auf seltsame Weise unterhaltsam – und sei es, weil Bowie und Reed so viel Freude daran haben, ihr Lied über den HOP FROG zu trällern. Wer sich die beiden hüpfend im Studio vorstellt, hat noch mehr Freude an der Nummer. ★★★

Lou Reed: Gastauftritte
Hat man Lou Reed als Gastsänger dabei, dann hat man diese Stimme, die den Song prägt – ob man will oder nicht. Manchmal geht das herrlich schief, zum Beispiel bei THIS IS YOUR LAND, einem Song der Simple Minds vom Blockbuster-Album STREET FIGHTING YEARS: Lou Reeds kurzes Statement zerschießt das perfektionistische Pathos des Liedes komplett. Super hingegen sein Auftritt als Erzähler bei FISTFUL OF LOVE von I AM A BIRD NOW, dem Durchbruchswerk von Antony & The Johnsons: Reed ist hier eine ideale Besetzung, weil er als Lebenspartner der Transgender-Ikone Rachel Humphreys einen ikonischen Ruf in der LGBT-Szene New Yorks besaß. Prima seine Vocals für den Gorillaz-Track SOME KIND OF NATURE von PLASTIC BEACH; auch seine letzte Gesangsperformance vor seinem Tod war 2012 ein Gastauftritt: Für die kanadische Band Metric sang er zusammen mit Emily Haines den Modern-Pop-meets-Indie-Rock-Song THE WANDERLUST. Lou Reeds famous last words als Recording-Artist: „Wanderlust will carry us on“.



