Little Simz im ME-Gespräch: „Ich hatte das Vertrauen in mich selbst verloren“
Der Weg zur Platte ist nicht immer eine Heldinnenreise. Little Simz über Enttäuschungen.
Drei Jahre nach ihrer letzten Platte und zehn Jahre nach ihrem Debüt veröffentlicht Little Simz ihr sechstes Album: LOTUS. Dem vorangegangen sind ein Feature mit Coldplay, ein Ausflug ins Schauspiel, ein neuer Gig als Kuratorin des renommierten elftägigen „Meltdown“-Festivals in ihrer Heimatstadt London – und das schmerzhafte Ende der Arbeitsbeziehung zu ihrem Kindheitsfreund Dean Cover, besser bekannt als Inflo, Kopf von Sault und vor allem Simz’ Stammproduzent und Weggefährte. Wegen Schulden in Millionenhöhe verklagt sie ihn nun – und verarbeitet ihre Enttäuschung über die kaputte Freundschaft auf ihrem neuen Album. Ein exklusives Interview mit der Königin des britischen HipHop.
Eigentlich hieß es, dass sie ihre Kamera aus lassen würde. Aber Little Simz aka Simbiatu Ajikawo ist heute wohl gut drauf – die Kamera ist an, Little Simz sitzt weit entfernt von der Linse in einem gläsernen Raum, ein Einzelbüro vermutlich bei ihrem Label. Sie ist nur verpixelt zu erkennen, im Hintergrund, hinter der gläsernen Wand, an der sie lehnt, huschen immer wieder Menschen vorbei. Inmitten all des Trubels wirkt sie aber ruhig. In sich ruhend sagt man wohl. Passt ja zum Titel ihres sechsten Albums: LOTUS.
Lotus, da denke ich an Buddhismus und Hinduismus, an Yoga, an die Serie „White Lotus“ – es ist so ein symbolträchtiger Name …
Ja, das stimmt. Diese Periode meines Lebens steht irgendwie für Erneuerung, und ist eine Zeit des Wachstums und der Veränderung. Und der Lotus ist eine der wenigen Blütenpflanzen, die in sumpfigem, trübem Wasser überleben. Darin habe ich mich wiedergefunden: Egal was ich erlebt habe, egal woher ich komme, ich wusste immer, ich werde etwas Außergewöhnliches schaffen. Es ist eine so makellose Blüte, obwohl sie in so trüben Verhältnissen wächst.
Du kommst aus Nord-London, waren das diese trüben Gewässer, von denen du sprichst?
Ja, auf jeden Fall. Es war nicht alles sweet, aber ich hatte eine liebevolle Familie, die mich aufgezogen hat. Auch wenn es draußen absolut irre war, gab es immer dieses Zuhause voller Liebe, in das ich zurückkehren konnte.
Alle deine Alben fühlen sich sehr persönlich an, GREY AREA handelte vom Tod eines Freundes, SOMETIMES I MIGHT BE INTROVERT trägt das Geständnis ja schon im Namen. Aber LOTUS fühlt sich noch persönlicher an, ja geradezu intim …
Es fühlt sich an, als wäre mir eine Last von den Schultern gefallen, weil ich nicht mehr alles in mir trage. Und ich bin es einfach gewohnt, meine Gefühle durch das Schreiben zu verarbeiten. Das ist mein healing process und therapeutisch für mich. Ich lasse die Sachen los und trage sie nicht die ganze Zeit mit mir herum. Es ist befreiend.
Das klingt ja erst mal ziemlich positiv!
Aber gleichzeitig muss ich auch sagen, dass es diesmal definitiv ziemlich beängstigend ist, weil ich mich sehr verletzlich zeige und vielleicht eine Büchse der Pandora aufmache. Ich öffne mein Privatleben mehr denn je, und damit einher kommen auch Verurteilungen, Fragen, Meinungen, Spekulationen und all so etwas. Aber ich kann nicht zulassen, dass diese Ängste mich davon abhalten, meine Wahrheit, meine Geschichte zu erzählen. Es geht mir vor allem darum, ehrlich mit mir zu sein und alles, was ich erlebt habe, zu verarbeiten. Auf eine Art und Weise, die sich zumindest für mich natürlich anfühlt.
Neben dieser sehr klaren Auseinandersetzung mit persönlichen Enttäuschungen geht es ja auch viel um das Thema Selbstzweifel. Während du sonst fast jedes Jahr ein neues Album veröffentlicht hast – das Magazin „Elle“ nannte dich sogar „pathologisch produktiv“ – gab es seit NO THANK YOU 2022 kein neues Album. Waren die Selbstzweifel der Auslöser für diese kleine Pause?
Ja, ich habe definitiv eine Selbstzweifelattacke erlebt, wie ich sie nicht vorausgesehen habe oder kenne. Das hat wirklich mein Selbstvertrauen angegriffen. Ich hatte immer ein großes Vertrauen in mich, besonders als Kind. Ich war aber nicht laut, es war eher ein stilles Zutrauen. Ich wusste Bescheid. Ich wusste, dass ich talentiert bin, dass ich mit Worten umgehen kann, dass ich diese Person bin. Und als mein Selbstvertrauen so gewankt hat, wusste ich plötzlich nicht mehr, ob ich es wirklich durchziehen kann. Das Schlimmste daran war, dass ich nicht mehr genau wusste, warum ich jetzt wirklich ein Album aufnehmen will. Den Grund nicht zu kennen, das hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Denn ich mache nichts, bei dem ich nicht genau weiß, warum ich es mache.
Wie meinst du das?
Ich setze Kunst in die Welt, weil ich anderen helfen will, weil ich Menschen inspirieren will und weil ich es einfach liebe, Kunst zu schaffen. Das ist mein „Warum“. Und als ich nicht mehr genau wusste, weshalb ich das alles mache, war ich ehrlich gesagt ein wenig verloren. Und traurig.
Woran lag das?
Veränderte Umstände – wie ich meine Alben mache, mit wem ich arbeite. Ich glaube, wenn man meine musikalische Biografie kennt, dann weiß man, wer gemeint ist. Als klar war, dass es nicht mehr so sein würde wie bisher, war ich mir nicht mehr sicher, ob ich es ohne diese Personen schaffen würde. Das hat mich aus der Bahn geworfen. Ich konnte immer Musik machen, auch ohne diese Menschen um mich herum. Ich hatte es bequem, mit Arbeitsroutinen, von denen ich wusste, dass sie Ergebnisse liefern würden. Und als all das weg war, wusste ich nicht mehr, wie ich diesen Prozess, ein Album zu schreiben, navigieren sollte. Unangenehm.
Wie hast du dich aus dieser Sackgasse befreit?
Ich musste herausfinden, wie es weitergeht. Allein. Und glücklicherweise mit der Hilfe des großartigen Miles Clinton James, der das Album produziert hat, und einigen anderen Musiker:innen. Aber letztendlich lag es an mir selbst. Ich musste mir die Zeit nehmen und lernen, nicht zu viel Druck und Lärm von außen an mich heranzulassen. Denn die Leute werden es kritisieren, sie werden alles mögliche darüber sagen. Aber es ist einfach egal. Ich muss versuchen, zu sagen, was ich sagen will und alles andere wird sich schon ergeben.
Stand es denn je zur Debatte, ob du weiter als Musikerin arbeitest oder nicht?
Ich habe ernsthaft abgewogen, ob ich weiter Musik mache oder einen Karrierewechsel anstrebe und mich auf etwas anderes konzentriere. Ich konnte mir einfach nie vorstellen, an diesen Punkt zu gelangen. Aber ich habe es überstanden und einfach weitergemacht. Ich wollte das Projekt abschließen. Selbst wenn ich es beende und es nicht mag und es das Schlechteste ist, was ich jemals gemacht habe, ich wollte es zu Ende bringen.
Puh, klingt aber auch anstrengend.
Aber man hat eine bessere Perspektive am Schluss, als wenn man noch mittendrin ist und alles zu viel ist. Also wusste ich: Ich muss es einfach fertigstellen. Egal ob ich jetzt denke, dass es das Beste ist, was ich je geschaffen habe oder nicht. Ich wollte einfach fertig sein.
Und? Liebst du LOTUS oder hasst du es? Ist es das Beste, was du je erschaffen hast oder nicht?
Ich bin so stolz auf dieses Album! Ich glaube, es ist richtig gut.
Du hast es dir auch teilweise selbst schwer gemacht, oder? Ich habe gelesen, dass du alle Lyrics auswendig gelernt hast vor den Aufnahmesessions. Warum hast du es dir so extra schwer gemacht?
Weil ich es performen wollte! Wie bei einem Konzert. Und ich kann nicht performen, wenn ich irgendwas auf meinem Handy ablese. Wenn ich die Texte aber schon auswendig lerne, dann denke ich nicht mehr darüber nach, was ich da eigentlich sage, sondern kann mich auf die delivery konzentrieren, darauf, wie ich es performe, und etwas Wahrhaftiges, Verletzliches schaffen. Es war sick, als wäre ich in der Musik. Für mich ein neues Gefühl. Ich glaube, es hat etwas freigesetzt. In mir.
Was denn?
Meine Platten können wie Live-Performances klingen. Mit all ihren vermeintlichen Fehlern wie Knacken in der Stimme oder Heiserkeit. Das macht es echt. Aber ich glaube auch, dass ich heute konzentrierter bin. Wenn ich jetzt ältere Songs von mir höre, dann bilde ich mir ein, herauszuhören, wenn ich nicht richtig bei der Sache war. Für das normale Publikum klingt es vermutlich wie jede andere Strophe, aber ich kann es hören, wenn ich versucht habe, etwas hinter mich zu bringen und mir keine Mühe gegeben habe, Dinge zu betonen oder lebendiger wirken zu lassen.
Es überrascht mich irgendwie gar nicht, dass du eine Perfektionistin bist. Wie hast du dich letztendlich aus deinem Tief wieder herausgearbeitet? Bei kreativer Arbeit ist es ja gar nicht so leicht, sich da wieder an die Oberfläche zu befördern. Erst recht nicht, wenn man so einen perfektionistischen Anspruch hat.
Ja, voll. Aber ich denke, ich habe aufgehört, an das Ergebnis und das Ziel zu denken. Stattdessen habe ich mir gesagt: Es ist egal, was es wird. Ich wollte nur meine Gefühle aus mir rausschreiben und mich später damit beschäftigen, was überhaupt daraus wird und ob es Sinn ergibt. Es klingt jetzt vielleicht komisch, aber wenn ich ältere Songs von mir höre, dann suche ich nach mir selbst.
Und erkennst du dich in ihnen wieder?
Die Songs klingen cool und alles, aber ich finde mich darin nicht. Das liegt daran, dass ich glaube, dass sie keine wirkliche Substanz haben. Also habe ich diesmal versucht, alles zu Papier zu bringen, das sich echt oder ehrlich für mich anfühlt, alles, was ich wirklich gefühlt habe. Das war mein Kompass. Ob es nun eine schwierige Zeit mit meiner Schwester war, über die ich einen Song geschrieben habe, der so etwas wie eine Ode an diese Phase ist. Oder ein Song wie „Blood“ mit Wretch 32 und Cashh, der auf einem Gespräch mit Verwandten basiert. In denen kann sich jede:r wiedererkennen, der Geschwister hat: „Du rufst mich nicht an. Du bist das Lieblingskind. Warum hast du nicht mit Mama gesprochen?“ Real life stuff eben. Ich war total einsam, als ich am Album gearbeitet habe. Vier Anläufe hat es gebraucht. Ich hatte mein Vertrauen in mich selbst verloren und konnte nicht fassen, dass ausgerechnet mir so etwas passiert. All das ist wahr, all das ist wirklich passiert, weißt du? Also habe ich versucht, es genauso aufzuschreiben, wie ich es erzählen würde.
So klingt das Album auch, als würde jemand mir in der Kneipe vom Leben erzählen. Aber im besten Sinne. Und es klingt wie ein Mixtape, auf dem du dich immer wieder in verschiedenen Versionen von dir selbst ausprobierst.
Ich habe mich ziemlich ausprobiert. Miles’ Studio ist wie ein Spielplatz für Erwachsene. Erwachsene, die Musik lieben. Überall stehen Instrumente, verrückte Percussionsachen, Triangeln, Trommeln. Ich habe mich darin verloren und das wiederum hat es mir erlaubt, alles zu kreieren und auszuprobieren, worauf ich Lust hatte. Das war als Prozess genauso spaßig und genauso herausfordernd, wie die Texte zu schreiben. Das spiegelt sich in Songs wie „Young“ und „Blue“ mit Sampha wider, die total unterschiedlich sind, aber in der gleichen Session entstanden. Wir sind einfach in die verschiedensten Richtungen gegangen und sind allen Ideen gefolgt, auf die wir gerade Lust hatten. Und so entstand irgendwann ein Album. Wir haben uns irgendwann geschworen, dass wir jeden Tag ins Studio kommen würden. Auch wenn die Ideen scheiße sind. Auch wenn wir keine Lust haben. Aber wir würden jeden Tag dort auftauchen. Weil, wenn wir das nicht machen, passiert ja garantiert nichts. Das war das Schwerste: jeden Tag reinkommen.
Und sehr oft wart ihr auch nicht allein – fast jeder Song auf dem Album hat einen Featuregast oder zwei. Auf deinen vorherigen Alben waren Gäste ja noch rar gesät. Diesmal klingt es wie ein Gemeinschaftsprojekt.
Und ich bin auch wirklich absolut ein Fan von jeder dieser Personen! Ich hatte das Gefühl, dass auf vielen der Songs mehr Stimmen nötig sind, um die Geschichte zu erzählen. Und ich wollte einen Raum öffnen und mit anderen Menschen teilen. Und das war eine schöne Erfahrung, das sind alles tolle Leute und mit vielen verbinden mich lange Freundschaften.
Vor zehn Jahren hast du dein Debütalbum veröffentlicht, A CURIOS TALE OF TRIALS + PERSONS. Was würde die Simz heute der Simz von vor zehn Jahren raten?
Bleib dran! Sei produktiv und mach einfach weiter, mach weiter Kunst, weil das ist die eine Sache, die du kontrollieren kannst. Selbst wenn du sie manchmal nicht kontrollieren kannst. Aber es ist die eine Sache, bei der du weißt, was du tust und in der du richtig gut bist. Hab keine Angst, Neues auszuprobieren und mit verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten. Du bist die Quelle. Und: Sei einfach nett zu anderen Menschen. Sei einfach ein guter Mensch und es wird schon alles okay sein.



