Ist der geplante neue Kulturstaatsminister eine Gefahr für die Popkultur?
Aida sorgt sich um die Zukunft der Popkultur, wenn Wolfram Weimer entdeckt, dass die gar nicht so aussieht, wie er sie sich vorstellt.
Ist die Major-Musikindustrie ein blutdurstiger Vampir? Das habe ich mich gestern Abend gefragt, als ich endlich im Kino saß, um den neuen Ryan-Coogler-Film „Blood & Sinners“ („Sinners“ im Original) zu schauen. Ich bin zwar eigentlich viel zu zart besaitet für Horrorfilme, aber ein Horrorfilm von einem meiner Lieblingsregisseure – über Musik, über Emanzipation im Deep South, Leben, Liebe, Tod und nochmal: Musik? Dafür tue ich mir sogar blutige Bloodsucker-Szenen an. Ich will natürlich nicht spoilern, aber sagen wir so: Wenn lauter Vampire angezogen werden von einem begabten Musiker und es dann darum geht, ihn mit Geld und Versprechungen zuzuschütten, um ihn aus seiner Welt herauszureißen und in ihre aufzunehmen – da denkt man schon mal an das Gebaren so mancher Major-Firmen, Streaminganbieter und anderer Akteure im Business, die unter Musiker:innen und Indielabels wildern gehen und nicht immer alle ihre Versprechungen wahr werden lassen.
Natürlich ist das nicht die einzige ziemlich überdrehte Metapher des nicht gerade an Metaphern armen Films. Vor allem geht es um Rassismus und Empowerment, darum, wie die Schwarze Community im Süden der USA in den Jim-Crow-Jahren versucht, unabhängige, eigene Strukturen zu schaffen. Und wie diese Strukturen konstant in Gefahr sind – durch strukturelle Unterdrückung, Ausbeutung, Gewalt. Die Versprechungen von Freiheit und Gleichheit, sie kommen nicht nur von den Vampiren, der Preis ist das eigene Blut. Das echte Leben hat das alles nämlich nicht zu bieten. Ziemlich düster eigentlich.
Verunsicherung als Gefühl der Stunde
Aber vielleicht ist der Vampirstreifen auch deswegen gerade der Film der Stunde: Die Gegenwart fühlt sich nämlich auch ziemlich düster an – und die Zukunft nicht viel besser. In erster Linie ist „Sinners“ von einem Schwarzen Filmemacher über afroamerikanische Geschichte für eine Schwarze US-amerikanische Community gemacht worden. Aber das Gefühl, dass wir uns als Gesellschaft mehr oder weniger darüber einig sind, dass wir gegen Diskriminierung und Ungleichheit angehen wollen? Das ist auch hier extrem verunsichert.
Bleiben wir mal ausschließlich beim Thema (Pop-)Kultur und Kulturpolitik: Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz hat die breite Kritik an dem Berliner Kultursenator Joe Chialo und den massiven und schlecht organisierten vermeintlichen Sparmaßnahmen des Senats anscheinend wahrgenommen. Und sich dann gedacht: Ach, die Kulturwelt, die ist noch nicht wütend genug – der zeigen wir’s jetzt mal so richtig.
Vom Nachbarn zum Minister
Das Ergebnis dieses Gedankengangs: Nun soll sein Nachbar vom schönen bayerischen Tegernsee, Wolfram Weimer, das Amt des Kultur- und Medienstaatsministers übernehmen. Der ist seines Zeichens Verleger, gründete einst das Politikmagazin „Cicero“. Unter dem Dach des Verlagshauses, das seine Frau und er gründeten und bislang gemeinsam leiteten, erscheinen die Website „The European“, aber auch andere Publikationen wie „Business Punk“ und „Markt und Mittelstand“. Dass er sonderlich viel mit Kultur im Sinne von Kulturbetrieb zu tun hatte, ist neu – eher veranstaltet er Netzwerktreffen wie den „Ludwig-Erhard-Gipfel“ und so weiter und publiziert Gedanken zum Konservatismus, oder was er dafür hält, die in den letzten Tagen für einiges an Kritik gesorgt haben. Begriffe wie „Multi-Kulti-Lüge“, befremdliche Gedanken zu queeren Coming-Outs, Angstfantasien um die „Fortdauer des eigenen Bluts“ – was unschön nah an Blut-und-Boden-Ideologien entlangschrammt – und neokoloniale Träume von einer „Expansionskraft“ Europas sind, nun ja, bislang eher in Lagern zu finden gewesen, die auf dem Spektrum politischer Positionierung etwas weiter rechts als bloßer Konservativismus zu verorten sind. Und vom Interessenkonflikt, der sich ergibt, weil seine Frau das gemeinsame Medienunternehmen weiterführen wird, ganz zu schweigen.
Ohne Förderung hat es die Popkultur schwer
Über all das wird seit Tagen in Medien – sozialen wie klassischen – schon genug gestritten, mit Petitionen, Leitartikeln und einem außergewöhnlich guten Takedown vom Herausgeber der konservativen FAZ, Jürgen Kaube höchstselbst (übrigens der beste Disstrack des Jahres, jetzt schon). Die, die die Ernennung von Weimer feiern, freuen sich, dass nun ein angeblich konservativer Wind durch die Kulturpolitik des Bundes wehen würde – auch wenn das Amt mehr als die drei Jahre von Claudia Roth vor allem von der CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters geprägt wurde. Aber die gilt plötzlich nicht mehr – vielleicht, weil sie eine Frau ist? Oder weil sie tatsächlich wusste, was Kulturbetrieb überhaupt ist? Und sie vergessen auch, dass ein Großteil des Budgets für zutiefst klassische Kulturinstitutionen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Literaturarchiv in Marbach und natürlich Opern landauf, landab verwendet wird.
Aber warum über all das in einer Popkulturkolumne schreiben? Weil auch die Popkultur betroffen ist – als verhältnismäßig winziger Teil des Verantwortungsbereichs des Kultur- und Medienstaatsministers. Was viele vergessen: Ohne Förderinstitutionen wie die Initiative Musik können Musiker:innen aus den unterschiedlichsten Genres – eben auch Pop – oft kaum noch neue Alben finanzieren. Auch Clubs, Spielstätten oder Festivals verdanken ihre Fähigkeit, ein breites musikalisches und popkulturelles Angebot zu bieten, oft staatlicher Förderung. Das kann man nun kritisch sehen, aber die Realität bleibt: Unsere Popkulturlandschaft hätte es noch schwerer. Aber wie soll ein Kulturstaatsminister, der von der „Multi-Kulti-Lüge“ redet, mit der Realität des Popkulturbetriebs – mit all seiner Vielfalt, seinen Widersprüchen und seiner Offenheit – klarkommen?



