Hate Speech: Woher kommt dieser Hass im Internet?
Wer im Netz laut ist, wird gehört – und oft gehasst. Unsere Autorin hat erfahren, wie sich digitaler Angriffe anfühlen: beleidigend, entmenschlichend, erschütternd. Doch statt zu schweigen, stellt sie Fragen.
Woher kommt dieser Hass? Wer profitiert davon? Und was macht er mit uns – individuell und gesellschaftlich? Eine persönliche Analyse über das System hinter der Wut.
Die heftigste Hassnachricht, die ich je bekam, kam von einem Karl-August. Sein voller Name stand in der E-Mail, in seiner Signatur war auch noch seine Adresse zu finden. Er warf mit N- und M-Wörtern um sich, schien nie darüber hinweggekommen zu sein, dass manche Menschen lieber Schokokuss sagen als die anderen Begriffe, die es mal für Zuckerschaum mit Schokolade gab. Und am Ende seiner E-Mail drohte er mir vage, zu Seife verarbeitet zu werden. Gute alte deutsche Tradition.
Was zu diesem Kübel Hass in meinem E-Mail-Postfach geführt hat? Ein Kommentar in einer Tageszeitung, in der ich irgendeine Aussage von Friedrich Merz, damals noch „nur“ CDU-Vorsitzender, kritisierte. Um N-Worte, Gendern oder Sprechverbote ging es nicht – aber das war Karl-August egal. Sein Hass musste irgendwo hin und dann wurde eben ich die Adressatin.
Nachrichten wie die von Karl-August landen leider immer wieder in meinen Postfächern oder in meinen Kommentarspalten. Die Themen sind egal: mal geht es um Merz, mal um Shirin Davids Verhältnis zur Presse, mal um politikwissenschaftliche Theorien. Wenn der Artikel nur weit genug zirkuliert, kübelt mir irgendwann irgendjemand in die Timeline. Sexistisch, rassistisch, menschenfeindlich, Hauptsache, es wird maximal verletztend. Und damit gehöre ich noch zu denen, die das Glück haben, nicht täglich durch digitale Untiefen des Hasses waten zu müssen.
Woher kommt diese Verrohung des Diskurses? Und was macht sie mit uns allen? Die zweite Frage ist leichter zu beantworten als die erste: „Die zunehmende Aggressivität im Internet schafft ein Klima der Verunsicherung und Angst bei Bürger:innen und führt zu Einschränkungen von Meinungsäußerungen“ – das ist jedenfalls das Fazit einer großen Studie der Universität Leipzig. Und nicht nur jene, die vom Hass direkt betroffen sind, werden verunsichert und stiller, sondern auch alle anderen. Denn wer möchte schon in eine Hasswelle geraten?
Hass lässt Menschen verstummen. Und da ist es ganz egal, aus welcher Richtung der Hass kommt, ob es Angst vor diskriminierender Hetze ist, Bedrohungen, oder auch nur sehr emotionale Popfans. Ich kenne Kolleg:innen, die keine Social-Media-Accounts mehr betreiben und damit ihre Reichweite massiv aufgegeben haben, weil sie über die Verbindungen zwischen Hollywoodstars und Scientology recherchiert haben. Bei anderen waren es „nur“ enttäuschte Taylor-Swift-Fans, die eine Plattenkritik als unzumutbar empfanden. Das Ergebnis allerdings ist das gleiche: Menschen verabschieden sich aus dem Diskurs. In der Wissenschaft nennt man das den „Silencing-Effekt“. Und das trifft es gut: Es wird ziemlich still. Zumindest bei den Stimmen, die sich um nuanciertere Perspektiven bemühen. Wer brutal und maximal laut vorgeht, scheint letztendlich den Diskurs für sich zu gewinnen. Zumindest im Internet.
Die Strafrechtlerin Hannah Heuser forscht zum Thema Hass im Netz und war auch an der Leipziger Studie beteiligt. Für sie steht fest: Der vermeintliche Gegensatz beim Thema zwischen Meinungsfreiheit auf der einen Seite und Persönlichkeitsrechten auf der anderen ist überholt: „Hass im Netz wird oft zwischen zwei Polen verhandelt. Die eine Seite will härter vorgehen, für die andere ist jegliches Vorgehen Zensur.“ Aber es stünde eben auch Meinungsfreiheit gegen Meinungsfreiheit, erzählt sie mir: „Vielleicht muss manchmal die Meinungsfreiheit der Lauten zum Schutz der Meinungsfreiheit der Leisen eingeschränkt werden.“
Woher kommt nun dieser Hass? Theorien dazu gibt es viele, aber die Hintergründe zu beforsten ist gar nicht so einfach: Wer Hass ins Internet bläst, agiert oft anonym. Und hat meistens keine Lust, mit Forscher:innen zu sprechen. Hannah Heuser zum Beispiel hat stattdessen Ermittlungsakten ausgewertet. Das Ergebnis? Abgesehen davon, dass es wie bei anderen Kriminalitätsfeldern zwischen 75 und 80 Prozent Männer sind, die die Straftaten begehen, kennt Hass darüber hinaus keine Kategorien. Kein Alter, keinen Bildungsgrad, keine Einkommensklasse, keine Herkunft. „Es zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten“, sagt Heuser, häufig landen sogar Kinder und Jugendliche in solchen Strafverfahren, weil in Klassenchats etwa plötzlich Nazi-Memes gepostet werden und sich die Kids immer weiter gegenseitig überbieten wollen. Unrechtsbewusstsein? Geht so.
So ähnlich dürfte es bei den Fällen von überambitionierten Fans sein: Ihnen ist vermutlich in vielen Fällen gar nicht klar, was für Konsequenzen ihr Handeln hat, wie es systematisch den Diskurs zerstört. Andere nutzen Hass und das daraus Resultierende ganz strategisch, mit verabredeten Shitstorms, sogenannten „Sockenpuppen“, also Mehrfachkonten, oder Bot-Netzwerken, um „künstliche Empörungswellen“ herzustellen, wie sie Hannah Heuser nennt, und dann gegebenenfalls das gesellschaftliche Klima zu verändern – oder die Grenzen des Diskurses zu verschieben. Und dann gibt es einfach noch die Trolle, die aus Freude an Zerstörung agieren, destruktiv, meist ohne gefestigte politische Agenda.
Was kann man gegen den ganzen Hass im Netz tun? Mittlerweile ist theoretisch vieles juristisch geregelt. Nur durchgesetzt werden diese Gesetze noch viel zu selten. Teils, weil zwar mehr Menschen Hass zur Anzeige bringen, aber bei Weitem noch nicht alle. Teils, weil es ein gewisses technisches Wissen braucht, um im digitalen Raum zu ermitteln. Es gibt zwar immer mehr spezialisierte Strukturen, die sich genau damit befassen, aber es gibt noch sehr viel Luft nach oben.
Die Hoffnung, die Nachrichten von Karl-August zur Anzeige bringen zu können, war aussichtslos: Er wusste sehr genau, wie er schimpfen konnte und dabei gerade so im Bereich des Legalen blieb. Sein Ziel erreicht hat Karl-August aber trotzdem nicht: Stiller bin ich nicht geworden. Im Gegenteil, er hat mich angespornt, lauter zu werden. Und dafür bin ich ihm fast ein bisschen dankbar.


