Kolumne

Der Pupser, der Mitfilmer, das Knutsch-Pärchen: Die 12 schlimmsten Konzertquälgeister

„You gotta catch them all!“ ist die Losung von Pokémon. Bei den Konzertquälgeistern gilt das Gegenteil. Möglichst vermeiden – dabei haben wir sie am Ende doch alle schon gehabt.

Petting, Pups, Slam-Dance und Karaoke … Bei einem Konzertbesuch letzte Woche konnte ich fast alle Archetypen der Livepublikums-Geisterbahn um mich herum ausmachen. Das nehme ich hier nun zum Anlass, diesen Gestalten endlich mal ihr verdientes Denk- beziehungsweise Mahnmal zu setzen – im großen Konzertquälgeister-Bingo.

01. Der Konzertpupser / Die Konzertpupserin

„Vergiss nicht, wir gehen nachher noch auf das Konzert, gell?“
„Selbstverständlich, ich esse gerade bloß noch die Zwiebelsuppe und den Döner von gestern.“

Man hat diese Konversation natürlich nicht miterlebt, ist sich aber sicher, dass sie so oder ganz ähnlich manchmal stattgefunden haben muss bei einem der Konzertbesucher:innen, die sich in der eigenen Riechweite platziert haben. Denn der Pups geht viral in den ersten Reihen, der Fokus der Umstehenden verliert sich von „Lost in music“ zu „Was zur Hölle?!“ Woher der Geruch letztlich rührt, bleibt in großen Menschenmengen allerdings meist diffus. Der oder die Absender*in wähnt sich sicher in dieser olfaktorischen Anonymität und belässt es daher meist nicht bei einer einzelnen Eruption. Ist man außerdem allzu nah im eierstichigen Zentrum, muss man fürchten, selbst für die Quelle des kollektiven Übels gehalten zu werden. Von dieser Scham erholt sich nicht jede*r!

Wer auf Konzerten mehr als versehentlich pupst, tritt auch nach Enten im Park.

Beeinträchtigungsfaktor: bis zu 10/10

02. Der Ins-Ohr-Schreier / Die Ins-Ohr-Schreierin

Warum geht man noch mal auf Konzerte? Natürlich um zu hören, was entfernte Bekannte (die einem aber gerade ziemlich nah kommen) so direkt ins Ohr zu brüllen haben. Wie sie zum Beispiel das Lied gerade finden, aber auch andere Informationen fließen – sky is the limit: Neuer Hund, Immo-Scout, Nahost oder warum nicht einfach mal seinem Nebenmann oder seiner Nebenfrau ungefragt einen Traum erzählen? Schließlich ist man doch gerade auf einem Konzert – und in Songs geht es irgendwie auch um Geschichten! Der andere hat schließlich Eintritt bezahlt und möchte ganz sicher engmaschig unterhalten werden.

Beeinträchtigungsfaktor: 8/10

03. Der Aggro-Tänzer / Die Aggro-Tänzerin

Platz ist eine Ware gerade bei ausverkauften Konzerten. Warum also nicht mal für sich in Anspruch nehmen, das Leben hat einen doch lange schon genug um seine Früchte betrogen! Und damit nicht gleich wieder jemand nachrückt, muss man deutlich machen, dass man auch wirklich jeden Quadratmeter für sich selbst benötigt. Für die Umstehenden sichtbar wird das vor allem, indem man bekloppt raumgreifend tanzt. Tipp: Je mehr Aggression und Körperlichkeit dabei im Spiel sind, umso weniger haben andere noch Bock, einem den mühsam beanspruchten Space wieder abgespenstig zu machen.

Beeinträchtigungsfaktor bis zu 10/10

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04. Der Konzertmitfilmer / Die Konzertmitfilmerin

Ach, was heißt hier schon DER Konzertmitfilmer? Es sind natürlich DIE – denn dieses Phänomen kennt längst keinen Singular mehr. „Neben mir wird gefilmt? Na, da will ich aber auch mal!“ Es geht hier längst nicht mehr um die Aufnahme, sondern bloß um die ritualisierte Handlung. All diese niemals wieder angefassten Clips dienen einzig der Selbstvergewisserung. Statt mit dem Edding „I was here“ an die Toilettenwand zu schreiben, braucht es 2025 dafür eben das Smartphone. „Im Moment sein“ wird ohnehin überbewertet – wir sind ja keine spirituellen Hippies auf Mescalin, sondern freuen uns, wenn wir vor lauter Displays im Blickfeld nicht dauernd auf die öde Bühne starren müssen. Und wer nicht wirklich schon mal bei Konzerten auf die Handys der Vorderleute geschaut hat, um zu vergleichen, ob ihre Auflösung besser oder schlechter ist als die eigene, der hat Musik doch nie geliebt!

Beeinträchtigungsfaktor: 7/10

05. Der Berichterstatter / Die Berichterstatterin

Wer sich dann doch mal die Mühe gemacht hat, seine unscharfen übersteuerten Handykonzertschnipsel auf Social Media zu stellen, wird eines gemerkt haben: Das interessiert ja nicht mal deine Mutter! Und die muss einen ja eigentlich schon von Rechts wegen lieben, aber beim halbdunklen Livevideo mit irgendeinem kleinen Lichtknäuel, das wohl die Bühne darstellen soll, macht die Begeisterung bei Dritten einfach Pause. Daher empfiehlt es sich, von einer Veranstaltung gleich direkt anzurufen und das Telefon zur Bühne auszurichten. Damit erreicht man zwar nur eine Person, aber viel mehr Likes hätte man eh nicht bekommen auf Instagram – außerdem ist die begünstigte Person am anderen Ende der Leitung doch bestimmt auch großer Fan! Ganz bestimmt – und zwar so ein großer Fan, dass sie gerade nicht live vor Ort ist. Aber hey, wer will im Rausch der sinnlosen Mitteilsamkeit schon kleinlich sein?

Beeinträchtigungsfaktor: 6/10

PS: Für diesen Fall hier könnte man allerdings eine Ausnahme machen. Sieht dringlich aus …

06. Der Handy-Enthusiast / Die Handy-Enthusiastin

Apropos die Displays der Anderen … Spannend zu sehen, wieviel Leute tatsächlich sogar Random-Büromails im hell erleuchteten Smartphone beantworten, während auf der Bühne gerade PJ Harvey oder Ski Aggu über ihre Gefühle singen?

Beeinträchtigungsfaktor 5/10

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07. Der Karaoke-Sänger / Die Karaoke-Sängerin

Klar geht man auf ein Konzert, um seinen Star endlich mal live singen zu hören. Aber Hand aufs Herz, ist es nicht noch viel schöner, man erfährt, wie die Gesangsstimme eines Umstehenden klingt? Der mag vielleicht nicht so textsicher sein, ist aber auf jeden Fall eines: LAUT! Den Act auf der Bühne entlastet das auch. Denn wenn die falschen Töne alle schon von der Person neben dir gesungen wurden, wirkt das, was man von der Originalstimme erahnen kann, gleich noch versierter. Typisch deutsch wäre es, sich über diese ausagierte Lebensfreude aufzuregen. Wann kommt endlich die vollumfängliche Mitsingpflicht?! Natürlich auch bei Instrumental-Acts!

Beeinträchtigungsfaktor: bis zu 7/10

08. Der Mitmacher / Die Mitmacherin

Ganz wichtig: Wenn der Act sich an das Publikum wendet und zwischen den Songs etwas erzählt, sei es hochpolitisch („Think we should burn down tesla!“) oder auch nur ganz profan („Give me german beer“), dann ist man immer selbst gefragt. In die Stille reinzurufen, ist der Sex all derer, denen sonst nie jemand zuhört. Und merke: Es gibt keine rhetorischen Fragen, es gibt nur verpasste Chancen, auch mal ganz kurz im Mittelpunkt zu stehen – und sei es nur, wenn einen die Blicke der Umstehenden durchbohren, weil es gerade mal wieder Zeit schien für einen „Ausziehen!“-Ausruf.

Beeinträchtigungsfaktor 5/10

09. Der Typ oben ohne

Apropos Ausziehen … In dem emanzipativen Teil der Punkszene gibt es mindestens seit dem letzten Jahrzehnt die Diskussionen um das Thema „oberkörperfreie Männer“ auf Konzerten. Der Tenor ist eigentlich recht einfach: „Bitte lasst es!“ In manch anderen Zusammenhängen gehört das glitschige Blank allerdings noch zum männlichen Konzerterlebnis dazu. Denn wohin allein schon mit all dem Schweiß, wenn nicht an die Klamotten der Leute, die unglücklicherweise neben einem stehen?

Beeinträchtigungsfaktor 8/10

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10. Der/die hygienisch Herausgeforderte

Warum vorher noch duschen, wenn man in einer Woche sowieso auf ein Schweiß treibendes Konzert geht? Seit dem Rauchverbot auf Konzerten ist dieses Vergehen natürlich noch mal deutlich höher zu bewerten. Wer erinnert sich nicht ungern daran, als ab 2008 nicht mehr geraucht werden durfte in Veranstaltungsläden – und man zum ersten Mal gewahr wurde, wonach es dort riecht, wenn nicht alles nach Aschenbecher stinkt!

Beeinträchtigungsfaktor bis zu 9/10

11. Der heimliche Raucher / Die heimliche Raucherin

Okay, jetzt wendet sich die Liste aber wirklich gegen mich selbst. Das habe ich jedenfalls schon öfter gemacht. Es tut mir leid! [ab unter Tränen]

Beeinträchtigungsfaktor 7/10

12. Das entfesselte Pärchen an der Schwelle zum Petting

„Rrrrr, Schnuckelschatzemaus! Hör‘ nur, sie spielen unser Lied! Lass mich wild in deinen Haaren fuhrwerken und mit der Zunge durch dein komisches Gesicht pflügen!“ [Schlabbergeräusche]
Ein Trost für die Umstehenden, diese Leute bekommen, was sie verdienen: Einander!

Beeinträchtigungsfaktor 6/10

Epilog

Wer tatsächlich bei einem einzigen Konzertbesuch einmal mehr als 10 Gestalten von dieser Liste hier abstreichen kann, möge sich jederzeit melden bei mir. Wir fahren dann zusammen in Urlaub und ich möchte alles über diesen Abend hören. Ansonsten bitte nie vergessen, wie scheiße es während Corona war ohne Konzerte und wie scheiße es in einer Diktatur sein würde ohne eine freie Musikszene.

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In diesem Sinne schließe ich mit den weisen Worten von Kapelle Petra: „Geht mehr auf Konzerte“.

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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