Beleidigung Beste – Glanz (und Elend) des deutschen Battleraps
„Wärst du ein Pfandautomat, müsste ich das Personal rufen“. Linus Volkmann taucht für uns ins Bällebad der Beleidigungen.
„Du siehst aus wie jemand, der sich bei Harry Potter in eine Ratte verwandelt“ (Bdad im Battle gegen Indoor Stan)
Selbstanzeige
Ich liebe Beleidigungen. Nicht falsch verstehen … die analoge Welt und on top das ganze Internet sind voll von verbalen Entgleisungen und dem Mangel an Respekt vor einander. Doch gerade deshalb schaue ich gern Battlerap, hier wird das gegenseitige Anfeinden zu einer phantasievollen Kunstform erhoben. Hier kann man sich – nach konkreten Regeln – das an den Kopf werfen, was im Alltag gute Erziehung oder gesellschaftliche Konventionen verunmöglichen (sollten).
Selbstanzeige II
Noch in den Zehnerjahren habe ich Battlerap und Gangstarap synonym verwendet. Meine Rolle als HipHop-Quereinsteiger möge diese Verfehlung ein wenig abmildern oder zumindest erklären … dennoch Asche auf mein Haus. Denn Gangsta-Rapper, das sind Figuren wie Bushido, Haftbefehl, Schwesta Ewa. Je weniger deren Texte vom Stoff-Ticken bis Prostitution-Betreiben für das Werk einer Kunstfigur gehalten werden, desto besser für den Fame. Denn der Gangsta will mit seinen krassen Verbrechensschilderungen möglichst authentisch wirken. Erst wenn die Staatsanwaltschaft, die Zensur oder die Hell’s Angels vor der Tür stehen, wird zurückgerudert und sich auf’s „Alles nicht so gemeint“ beziehungsweise die Kunstfreiheit berufen. Die Battle-Rapper:innen trennen von solchen überzogenen Gangsta-Inszenierungen mehr als nur ein paar Nuancen. Wenn ihr mögt, taucht mit mir doch mal ein bisschen ein in dieses unfassbar tiefe Rabbithole. Ich verspreche: Einmal drin, kommt man so schnell nicht mehr raus …

Battlerap – das Buch feat. Papi Schlauch
Unlängst erschien im Ventil Verlag ein Buch, das die Geschehnisse des immer noch sehr jungen Phänomens Battlerap aus Deutschland aufbereitet. Rafael Schmauch, der unter dem Alias Papi Schlauch selbst Protagonist dieser hochaktiven Szene ist, hat es geschrieben. Es trägt den funktionalen Titel: „Battlerap“ ergänzt um die Unterzeile „Die Kunst der Beleidigung“ und stellt eine genauso umfassende wie empfehlenswerte Auseinandersetzung mit der Materie dar.
Die Regeln
Gemeinhin stehen sich zwei MCs in einem Eins-gegen-Eins gegenüber, es gibt aber auch die Variante des Doppels, also Zwei-gegen-Zwei. Dabei beschreibt das Written-Acapella-Battle (im Gegensatz zu Freestyle-Battles) auswendig vorgetragene Schmähungen auf einer Bühne oder im sogenannten Kreis. Bei der Variante des On-Beat-Battles gibt ein DJ Rhythmus und das Tempo vor. Ein Match geht gemeinhin über drei Runden. Jeder hat also dreimal ein paar wenige Minuten Zeit, seinen Gegner maximal schlecht aussehen zu lassen. Ganz wichtig ist dabei noch, es handelt sich um keine dialogische Streit-Inszenierung. Wenn der andere dran ist, hält der Opponent die Klappe, no matter what. Am Ende der Runden entscheiden Juror:innen oder das Publikum über den Sieger – in jüngster Zeit wird darauf allerdings immer öfter verzichtet. Die Battles sind dann unjudged.
Die Anfänge
Der Ursprung von Battle-Rap liegt – natürlich – in den USA, genauer gesagt an der East Coast. Die kompetitive Grundlage der HipHop-Kultur fragt dort seit den Achtzigerjahren nicht bloß, wer ist der versiertere Rapper, der bessere Sprayer oder der akrobatischere Breakdancer, sondern auch: Wer kann einen Kontrahenten überzeugender in Grund und Boden beleidigen? Einen großen Popularitätsschub ereilt diese Kulturpraxis der Unhöflichkeit 2002 durch den Film „8 Mile“, in dem Eminem sich in einem Battlerap-Turnier zu beweisen hat.
Feuer über Deutschland
Getragen von jenem „8 Mile“-Nachhall stellt 2006 das Live-Format „Feuer über Deutschland“ den Nukleus der hiesigen Battlerap-Szene dar. Als Moderator der ersten Auflage fungierte seinerzeit Kool Savas. In den Zehnerjahren etablieren sich diverse unterschiedliche Ligen, die regelmäßig immer aufwendigere Events aufstellen. Am langlebigsten wie einflussreichsten zeigt sich dabei „Don’t let the Label label you“ (abgekürzt DLTLLY, gesprochen „Dilltily“) aus Berlin. Zuletzt hat aber auch die Plattform „Future Of Battlerap“ aus Köln sehr viel Meter hinsichtlich Professionalität gemacht.
Es ist kompliziert
Das Buch von Rafael Schmauch geht recht früh in eine der zentralen Schwierigkeiten hinsichtlich Battlerap rein. Denn es liegt auf der Hand, dass Beleidigungen nicht grundsätzlich unterhaltsam und befreiend sind. Sie können sich genauso auch diffamierend, rassistisch, homophob, misogyn und ähnlich gebärden, denn im Kreis des Battleraps gilt grundsätzlich alles als erlaubt. Ähnlich einer (die HipHopper hören es sicher nicht gern) Theaterbühne handelt es sich bei Battlerap um uneigentliche Sprache. Das soll wie gesagt die Möglichkeit bieten, sonst Sanktioniertes in einem kontrollierten Rahmen aussprechen zu können. Diese Ventilfunktion schließt damit den ganzen unguten Scheiß, den manche:r ganz bewusst nicht hören möchte, mit ein. Denn auch jener ist part of the game. Wobei das am Ende des Tages eine Selbsterzählung der Szene ist, die so gar nicht stimmt: Das N-Wort beispielsweise verwendet schon lange kein MC mehr, auch stumpfer Rassismus fällt (zum Glück) der freiwilligen Selbstkontrolle zum Opfer. Dem Gegner eine normative Männlichkeit abzusprechen, war dagegen lange Zeit noch völlig opportune Mackerfolklore – diese markierte Zuschreibungen wie weiblich oder schwul als negativ, ja ehrabschneidend. Battlerap als hodenlastige Männersache. File under: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“
Doch die Szene ist agil und im Wandel und hat überhaupt keine Lust, sich von den Werten her so aufzuführen wie ein AfD-Stammtisch. Seit dieser Dekade sind in den größeren Ligen Misogynie und Homophobie daher keine Punchlines mehr, sondern diskreditieren eher jene, die damit noch zu punkten versuchen. Allerdings ist die Szene nicht losgelöst von dem aktuellen Kulturkampf, sondern selbst ein Teil davon. In welche Richtung sich alles entwickeln wird, ist offen. Die Möglichkeiten sind genauso sichtbar wie die Abgründe.
Triggerwarnung
Bei Dltlly werden daher auch die YouTube-Battles wegen der offensiven Sprache von einer Tafel mit einer Triggerwarnung eröffnet.
„Die folgenden Szenen enthalten verbale Angriffe und einen Sprachgebrach, der auf einige Personen verstörend oder verletzend wirken kann. Die Texte der Künstler spiegeln weder die offizielle Meinung der Plattform, noch die persönlichen Ansichten der Veranstalter wider.“
Highlights
Dieser Triggerwarnung kann ich mich nur anschließen, wenn ich nun mal ein paar Battles zum Einstieg empfehle. Persönlich kann ich aber ohnehin wenig mit dem klassischen Penis-Gehupe im Battlerap anfangen kann und freue mich viel eher über schlaue Fieslinge, die es schaffen, ihre Gegner in Grund und Boden zu demontieren, ohne sich dafür Diskriminierungen bedienen zu müssen.
==> Ssynic vs Mikesh // Festsaal Kreuzberg, Berlin
Mikesh war kurz vor Corona der shining Star der Battlerap-Szene. Smart, analytisch, satanisch. Er trug sogar den Championtitel von Dltlly, gab ihn aber zu Zeiten des Locksdowns ab. Ssynic, der auch als Comedian und Influencer aktiv ist, war lange vor Mikesh im Battlerap aktiv und wichtig für die Szene. Sein YouTube-Format „Ssynic macht Auge“, das vornehmlich aus Reactions auf Battles besteht, wurde während Corona bigger als Battlerap selbst. Mikesh vs. Ssynic war ein clash of styles – und bis heute ist (zumindest für mich) schön zu sehen, wie Ssynic sich mit seiner selbstherrlichen Inszenierung völlig verkalkuliert und wie seine Strategie, den Gegner als schwul zu entlarven, mit Anlauf gegen die Wand fährt. Zudem handelt es sich hierbei um eines der bis dato größten deutschen Battle-Events, die Stimmung, die auch im Clip noch rüberkommt, ist unfassbar energetisch.
==> Hiding John vs. Oregano // Spektakulum, Düsseldorf
Hier wiederum ein Peak der Liga „Future Of Battlerap“. Die vielleicht lustigsten Vögel des ganzen Phänomens. Hiding John ist dabei der Etabliertere, er wird im Dezember auch um den Titel battlen (gegen Amtsinhaber Kato). Oregano dagegen noch verhältnismäßig neu im Betrieb, besitzt mittlerweile aber auch eine eindrucksvolle Serie an unterhaltsamen Battles.
==> Liser vs. Niza // Panke, Berlin
Battlerap war lange Zeit ein ziemlicher Männerknast. Wen wundert’s? Rape-Jokes, Misogynie als Punchline, sich überbietendes Alpha-Gequake … Es gab wenige Frauen, die Interesse hatten, sich in dieses toxische Stahlbad aus Halbsteifen zu begeben. Mit der Öffnung der Kultur allerdings und dem Abflauen des Testo-Imperativs ändert sich das. Gerade via „Future Of Battlerap“ haben sich auch etliche female MCs in den höheren Rängen etabliert. Und auch wenn sicherlich noch keine paritätischen Verhältnisse herrschen, kann man die Entwicklung sehen, die die Szene nimmt. Ich liebe ja das Battle zwischen Liser und Niza – abgehalten noch (man sieht’s am Publikum) in Kontaktbeschränkungszeiten.
PS: Liser allerdings – die früher auch in der reinen Female-Liga „Fresh“ auftrat – hat sich leider aus dem Battlerap verabschiedet. Heute ist sie als Rapperin aktiv. In ihrem Insta-Post zu dieser Absage an Battlerap kann ablesen, welche Defizite bis heute noch herrschen.
On Beat
Ungeachtet der Diskussionen erlebte die Szene dieses Jahr einen großen Boost – und der lässt sich auf dieses On-Beat-Battle zurückführen. Taddl, ein ehemaliger YouTube-Star und Rapper, trat unter dem Namen Beastboy erstmals bei Dltlly auf und erzeugte einen immensen Hype rund um das Match gegen den Veteranen Davie Jones. Technik, Eloquenz und Präzision von Taddl a.k.a. Beastboy konnten die hochgesteckten Erwartungen tatsächlich noch überflügeln, innerhalb kürzester Zeit wurde die Begegnung zu dem meistgeklickten deutschen Battle überhaupt. Stand jetzt über zwei Millionen Views.
Lowlights
Auch das soll nicht verschwiegen werden. Ein Battle aus dem Jahre 2018 stellt Davie Jones gegen Pilz dar. Ersterer schreit der female MC drei Runden lang die abgedroschensten ekelhaftesten Sexismen ins Gesicht. Nicht auszuhalten und würde heute in der Form nicht mehr stattfinden. Erst jüngst dagegen packt ein MC folgenden „Fakt“ über seinen Gegner aus: Der würde in einer Agentur arbeiten, die irgendwann mal was für die SPD gemacht hätte – und somit wäre er für einen Genozid am palästinensischen Volk verantwortlich zu machen. Ey, dagegen sind Politics auf TikTok ja noch Stimmen der Vernunft. Dieser perfide Mist wird dann aufs Unangenehmste in die Länge gezogen. Das reale Leid der Menschen in Nahost diente hier als Trittbrett für die eigene moralische Erhöhung – Virtue Signaling aus der Jauchegrube. Für mich der Alltime-Tiefpunkt der jüngeren Battlerap-Ära. Verlinke ich auch nicht, guckt es nicht.
Zum Ende des Abschnitt nun noch – nicht so sehr Lowlight, sondern ein kleiner Dltlly-eigener Skandal: Das Battle von Tobi High gegen Mars B., bei dem plötzlich nicht nur Worte, sondern auch Fäuste flogen.
Aus der Szene gekommen
Battlerap besitzt seine eigenen Stars. Das Rabbithole ist, wie schon erwähnt, tiefer als ein U-Bahnschacht. Allerdings gibt es auch sehr erfolgreiche Rapper aus den Charts, die ihre Karrieren im Battlerap begonnen haben. Zum Beispiel Capital Bra, Finch … oder auch Casper. Letzterer trat in blutjungen Jahren tatsächlich bei dem oben erwähnten „Feuer über Deutschland“ in Erscheinung. Klingt einigermaßen abwegig, aber warum sollte ich euch anlügen, HipHop-Kids?!
Status quo vadis
Ein wichtiger Faktor ist der verbindliche, wiederkehrende Rahmen bei einem Battle. Wie bei einem regulären Sport-Event sollen die Bedingungen immer ähnlich sein – und damit vergleichbar. Das macht Sinn und hält die Events zusammen. Dennoch gibt es auch Battlerapper:innen, die versuchen zum Beispiel mit Gimmicks das statische Prinzip zu dehnen. Doch das ist eben nur bis zu einem gewissen Grad möglich. So hatten die Battlerapper Joseph Steinschleuder und Sizyphos unlängst die Idee, ein abenteuerlich phantasievolles (lies: durchgeknalltes) Event auf die Beine zu stellen. Darunter lauter konsequent durchgezogene Schnapsideen wie Blickbattle, On Beat mit klassischer Musik oder „Battle des einen Geräuschs“. Hier zeigt sich viel kreatives Potenzial, soviel Liebe zur Sache. Dieses Event fungiert als ein zauberhafter Ausblick dahingehend, was mit Battlerap alles noch möglich sein könnte in Zukunft.
Ich werde es für euch im Auge behalten. Guckt ihr doch solange mal hier in dieses letzte Video rein.
Ihr werdet staunen …
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