An der Bar: Rike van Kleef
Rike van Kleef im Bar-Talk über die aktuelle & zukünftige Festivallandschaft & über unprätentiösere Abhängalternativen.
Affen angucken, dabei Festivallandschaft sowie Musikindustrie auseinandernehmen und über unprätentiösere Abhängalternativen nachdenken … Ein Treffen mit Autorin Rike van Kleef in der Monkey Bar Berlin.
ME: Wir sind hier im zehnten Stock angekommen und haben einen Blick auf die Affen im Berliner Zoo. Und eine Menge Grün. Das kann was!
RIKE VAN KLEEF: Ja, oder? Ich war hier noch nie.
Wo wir hingegen beide zuletzt waren: Auf dem Primavera Festival in Barcelona. Wie fandest du es?
Also das Line-up war schon mal toll … (die bestellten Drinks kommen an)
Darauf stoße ich mit Yuzu Watermelon mit dir an!
Auf jeden Fall … Cheers!
Ganz schön zuckrig, oder?
Ja voll. Eigentlich mag ich nicht so süße Cocktails.
Sondern? Welcher ist dein Lieblingsdrink?
Ich probiere gerade herum. Neulich habe ich in der Curly Bar im Wedding einen wirklich guten alkoholfreien Amaretto Sour getrunken, das hat mich total abgeholt.
Klingt lecker. Noch mal zurück zum Festival: Du warst noch nicht fertig mit deinen Primavera-Ausführungen, richtig?
Ja, also ich hatte echt hohe Erwartungen, weil ich für mein Buch „Billige Plätze – Gender, Macht und Diskriminierung in der Musikbranche“ auch die Sprecherin des Festivals, Marta Pallarès, interviewt hatte. Am Ende wurde ich – abgesehen vom Line-up – doch enttäuscht. Es war infrastrukturell nicht auf die Menge der Personen ausgelegt. Zum Beispiel gab es zu wenige Wellenbrecher, was mich zu einer beginnenden Panikattacke bei Sabrina Carpenter gebracht hat, weil ich da im vorderen Drittel gequetscht stand. Außerdem habe ich meine Tage bekommen, was nicht so toll war, weil die Hygiene-Situation eine Katastrophe war. Mein Fazit in Kurzfassung: Das Primavera hat bewiesen, dass ein kommerziell erfolgreiches Festival mit FLINTA*-Main-Acts und einer jungen, queeren Crowd möglich ist – aber das alleine macht ein Festival nicht feministisch.
Was macht ein Festival feministisch?
Dazu gehören Fragen, die man im Vorfeld klären muss, wie: Fühlen sich Menschen wohl, die nicht 1,80 groß sind und eine gewisse Masse mitbringen? Gibt es eine funktionierende Hygiene-Infrastruktur, auf der Ebene, dass auch Menschen mit Uterus, die menstruieren müssen, sich ordentlich erleichtern können? Kann man nicht nur Alkohol konsumieren, sondern sich auch hydrieren? Es geht darum, dass nicht nur Entscheidungen kommerzieller Natur getroffen werden, sondern auch welche, die aufs Sicherheitsgefühl einzahlen. Ein feministisches Vorgehen bezieht sich auch darauf, wie Festivalveranstaltende mit Mitarbeitenden umgehen und sich in öffentlichen Debatten positionieren.
Welches Festival ist denn hierzulande ein gutes Beispiel?
Das Team vom MS Dockville in Hamburg macht sich viele Gedanken in Sachen Booking und Awareness. Auch auf kleineren Festivals passiert schon viel. Ich habe den Eindruck, dass sich insbesondere diese Veranstaltungen mehr mit Öko-Toiletten und Awareness-Konzepten beschäftigen.
Wenn du die Festivallandschaft mitgestalten könntest, was würdest du machen?
Ich würde mir erst mal überlegen: „Mit wem mache ich das zusammen? Haben wir eine ähnliche Werte-Basis?“ Ich würde die Position auch nutzen wollen, um Menschen, die kompetent im Job sind, aber bisher nicht so Chancen in der Branche bekommen haben, einzubinden. Diese Personen bringen darüber hinaus oft spannende Perspektiven mit, die ich vielleicht gar nicht abdecke. Denn ich frage mich schon oft: „Wo sind die Schwarzen Booker:innen? Wo sind die Veranstaltungsleiter:innen im Rollstuhl?“ Das Fehlen liegt nicht daran, dass diese Menschen für diese Jobs nicht geeignet wären, sondern dass in der Vergangenheit das Arbeitsumfeld nicht für die verschiedensten Lebensrealitäten gestaltet wurde. Und nach der Frage zum Team würde ich mir infrastrukturelle Gedanken machen. Ist das Gelände inklusiv begehbar? Wie steht es um die Hygiene-Situation? Lädt die Bühnenaufstellung dazu ein, neben Main Acts auch Neues zu entdecken? Wie kriege ich insgesamt Newcomer:innenförderung hin? Weiterhin müsste ich mir überlegen, was mein Festival ausstrahlen soll und mit welchen Kollektiven ich zusammenarbeiten möchte.
Konntest du mit deinem Buch einen positiven Diskurs anstoßen?
Viele Leute spiegeln mir nach dem Lesen von „Billige Plätze“, dass sie sich davon gesehen fühlen und dass ihnen die Dinge auch so passiert sind – teilweise auch in anderen Branchen. Das ist traurig und hoffnungsstiftend zugleich. Es freut mich, wenn mir Leute das Feedback geben, dass sie durch mich ein Vokabular für ihre Erfahrungen gefunden haben. Neulich bekam ich außerdem die Nachricht, dass mein Buch der Mutmacher für eine Person war, jetzt Bookerin zu werden. Sie hatte sich lange Zeit nicht getraut, aber nach dem Lesen wollte sie es angehen und hatte sogar schon Leute angesprochen, um das in Angriff zu nehmen. Es ist natürlich toll, jemandem dabei geholfen zu haben, eine lebensverändernde Entscheidung zu treffen und sich zu vernetzen.
In welchen Momenten findest du, ist ein Bar-Besuch eine besonders gute Idee?
Ich war vor heute schon länger nicht mehr in Bars unterwegs, weil ich mein Buch gedated habe. Wir befinden uns aber gerade in einem Abnabelungsprozess und ich fange langsam an, Freizeit zurück zu erlernen. Ich würde also gerne wieder in Kneipen gehen, auch um Menschen kennenzulernen. Um ins Gespräch zu kommen. Dafür suche ich nach Orten, die bezahlbare und auch viele alkoholfreie Getränke im Angebot haben. Und die rauchfrei sind. Wenn ich so eine Kneipe gefunden habe, dann möchte ich sie wie ein Wohnzimmer nutzen. Also zum Kartenspielen, zum gemeinsamen „Tatort“-Gucken, halt zum unprätentiösen Abhängen.
Mehr zu Rike van Kleef
Für ihr im Mai veröffentlichtes Buch „Billige Plätze“ hat Rike van Kleef, Journalistin und Kulturarbeiterin, mit zig Akteur:innen aus der Musik-, Live- und Festivalbranche geredet. Sie widmet sich der Frage, warum Diversität auf den Open- Air-Line-ups immer noch eine Seltenheit ist und die Musikindustrie ein weiterhin männerdominiertes Feld darstellt und wie das geändert werden sollte. Sie ist außerdem Mitgründerin des Vereins faemm, der sich für eine gerechte, feministische Musikszene einsetzt. Plus: Für MUSIKEXPRESS hat Rike einen Text über Sprints geschrieben.
Mehr zu „An der Bar“
In unserer „An der Bar“-Serie finden sich Künstler:innen mit ME-Host Hella Wittenberg in gemütlicher Atmosphäre am Tresen für einen Deep Talk zusammen.



