Aidas Popkolumne: Wo ist die Langeweile?

Der Sommer ist da, aber vom Sommerloch keine Spur: was macht der sich überschlagende Nachrichtenzyklus eigentlich mit dem Sommer?

Ich war kürzlich im Kino, um „Hot Milk“ zu schauen, die Verfilmung des Romans von Deborah Levy. Die Story ist schnell erzählt: Tochter Sofia ist mit ihrer Mutter Rose in Südspanien, allerdings ist der Aufenthalt alles andere als ein Urlaub, denn Rose hat eine mysteriöse, vielleicht eingebildete Krankheit.

Die Tochter hat ihr Leben auf Eis gelegt, um die Mutter zu unterstützen, aber die beiden Frauen haben ein kompliziertes Verhältnis miteinander. Die spanische Sonne knallt, Protagonistin Sofia hat Liebesaffären, der Plot zerfasert, und am Ende wissen wir auch nicht so richtig, wohin die Reise geht, wie Sofia selbst auch nicht. Die Kritiken waren teilweise vernichtend, aber der Film zumindest sehr schön anzusehen.

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Aber es geht mir nicht um den Film an sich (und auch nicht um den tollen glitch-y Ambientsoundtrack von Matthew Herbert), sondern um die sonnenmüde Langeweile, die die Protagonistinnen bei ihrem Nicht-Urlaub haben. Das, was Urlaub nämlich so oft ausmacht: meditative Stille, das große Nichts, das unseren überreizten Köpfchen mal kurz eine Pause zum Verschnaufen, Verarbeiten und Verstehen verschaffen soll. Und ich bin mir nicht sicher, ob es diese Welt noch gibt.

Sommerloch? Gibt’s nicht mehr

Ich war selbst gerade im Urlaub, ein paar Tage Dolce Vita in Italien, Parmesan, Pasta, Pizzateig, das ganze Klischee. Natürlich habe ich auch auf Monoblocs gesessen, natürlich finden sich in meiner Reisetasche noch Sandkörner vom Strand. Nur: so richtig Abnabeln von der Welt und in Langeweile versinken, geht das überhaupt noch? Das Sommerloch scheint tot und begraben, denn irgendetwas ist ja immer. Statt über ausgebüxte Alligatoren, die durch die niedersächsische Pampa wandern, war das Thema der ersten Augustwochen die absurd und misogyn geführte Kampagne gegen die die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf und ihr Rückzug als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Im Netz feierten das dann AfD, Männerrechtler, fundamentale selbsternannte „Lebensschützer“, CDU-Abgeordnete und Leute wie Dieter Nuhr dann in trauter Einigkeit. Sommerloch? I wish!

Und selbst wenn man ein paar Tage lang die Nachrichten nicht liest und sich von der Sonne zu einer kleinen Rosine schrumpeln lässt, fällt es mir zumindest schwer, die Welt loszulassen. Denn die Zerstörung unserer Welt ist ja überall zu sehen: schrumpfende und verschwindende Gletscher in den Bergen, erodierte Küsten und Strände, Extremwetter, brennende Wälder und immer krassere Armut auf den Straßen, sowohl Zuhause, als auch auf Reisen. Selbst wenn man wegschauen wollen würde, geht das nicht mehr, denn die Katastrophen rücken immer näher an jeden von uns heran.

Auf der Suche nach dem Sommerhit

Da überrascht es kaum, dass einer der Sommerhits des Jahres alles andere als fluffigen Sommerspaß verspricht, wie letztes Jahr zum Beispiel Sabrina Carpenters „Espresso“ oder Chappell Roans „Good Luck Babe“. Im Gegenteil: Bad Bunnys „Nuevayol“, ah, nee, ich meine „NUEVAYoL“, die mittlerweile achte (!) Single von seinem Album „Debí Tirar Más Fotos“. Es geht um Migration, Identität, Veränderungen und Gentrifizierung und die Sehnsucht nach der Heimat. Richtig locker-leicht flockige Sommerthemen, oder?

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In der Musikvideoversion, die Anfang Juli veröffentlicht wurde, wird Bad Bunny noch einmal expliziter und lässt eine Trump-eske Stimme sich im Radio für seine Menschenfeindlichkeit gegenüber Migrant:innen in den USA und sein Verhalten gegenüber den anderen Ländern Süd- und Nordamerikas entschuldigen.

Eine süße Utopie, während gleichzeitig jede Woche Nachrichten von noch krasseren Festnahmen von Migrant:innen in den USA die Nachrichten dominieren. Die Gleichzeitigkeit der Dinge, sie ist manchmal fast schon zu bizarr, um wahr zu sein.

Pop ist ein Spiegel der Gegenwart, richtig guter Pop weiß das, spielt damit und liefert einen klugen Kommentar auf das, was um uns herum passiert – wie eben Bad Bunny mit „NUEVAYoL“. Die fantastische Vorstellung von einem US-Präsidenten, der sich bei der migrantisierten Teil der Bevölkerung für seine Politik entschuldigt, eingerahmt von einem Dembowbeat, zu dem man ja nur tanzen kann, wirkt wie ein Lichtkegel auf die Brutalität der Realität, in der sich niemand entschuldigt, in der Menschen von Verhaftung, Gewalt und Tod bedroht werden, in der Migrant:innen sich nicht mehr auf die Straße trauen, um Familienfeste zu feiern oder auch einfach nur abzuhängen, in einem Monobloc, in der Sonne, mit sommerlichem Leerlauf.