Aidas Popkolumne: Mit Labubus ins Delulu
Aida sitzt im Zug und zählt Labubus – und fragt sich, woher der Hype um die kleinen Viecher mit den gefletschten Zähnen kommt.
Während ich das hier schreibe, sitze ich in einem Zug und allein in den letzten fünf Minuten sind fünf Menschen mit Labubus an ihrer Tasche an mir vorbeigelaufen, manche sogar mit mehr als einem. Falls ihr die letzten Wochen unter einem Stein verbracht habt: Labubus sind kleine Plüsch-Plastik-Monster mit einem fies-süßen Gesichtchen, die man sich als Anhänger an seine Tasche hängen kann. Sie wirken wie Merch für eine Kindersendung, als wären sie die fiesen Cousins von den Teletubbies, und ursprünglich basierten sie auch auf Figuren aus einer Kinderbuchserie eines Künstlers aus Hongkong. Die aber interessiert heute niemanden mehr: Labubus sind ein Merch ohne zugrunde liegende Geschichte geworden, ein popkulturelles Phänomen ohne ein kulturelles Produkt, mit dem man, wie bei der Maus, My Little Pony, Dragonball Z oder meinetwegen auch den Teletubbies, sie verbindet. Sie sind einfach da, halbwegs niedlich, beliebt bei Lisa von Blackpink und die Schlange bei der Eröffnung des ersten deutschen Ladens des chinesischen Herstellers Popmart soll 15 Stunden lang gewesen sein. So lang hat man nicht mal bei der Wiedereröffnung des Berghain nach der Pandemie angestanden.
Also warum sind die kleinen Viecher so beliebt? Ich glaube: Trost. Trost in richtig beschissenen Zeiten. Sie sind klein und frech und niedlich und vor allem irgendwie cozy mit ihrem Plüschkostüm – und damit sind sie eine willkommene Ablenkung vom Horror der Gegenwart. Denn ganz ehrlich: Wie kann man dieser Tage noch über Pop schreiben oder über die Verbindung zwischen Pop und Politik? Auf sozialen Medien stehen Albumankündigungen neben Labubus neben ausgemergelten Körpern, die das Ergebnis von einer menschengemachten Hungersnot sind, Shitposts neben Diskursen zum Für und Wider von Kritik im Feuilleton und Videos von der Schlange vor der Eröffnung des Berliner Popmart-Ladens, Memes neben Videos von Faschoaufmarschen und Foodfotos neben Nachrichten, die von Rechtsruck und der Gründung von KI-only Schulen berichten. Alles steht wie gleichwertig nebeneinander. Social Media scheint unsere Umwelt zu einer Landschaft zu verflachen, in der alles so wirkt, als habe es die gleiche Relevanz. Labubu, Krieg, Kunst, Rechtsruck, Kochrezept, Krankenhausschließung, Mietpreisexplosion, Tradwifelife, Beziehungstipps, Influencerdrama. Und auch wenn wir rational wissen, dass das eine und das andere nicht vergleichbar sind, so ist das doch die mediale Umwelt, in der wir uns bewegen.
Eine Unterscheidung zwischen dem „real life“ und dem Internet zu machen erscheint mir immer absurder – ist beides doch immer enger miteinander verbunden, und beeinflusst sich gegenseitig. Siehe die Labubus, die an meinem Sitzplatz vorbeimarschieren oder die Schlange am Laden in Berlin. Aber trotzdem glaube ich auch, dass wir alle mal kollektiv ein wenig Gras streichen und vielleicht ein Fenster auf Kipp machen sollten. Wir posten uns durch den Wahnsinn der Gegenwart als würde das irgendetwas am Horror der Welt ändern, aber in Wirklichkeit ist es nur ein Simulacrum von Aktivismus oder Diskurs, das in vielen Fällen höchstens noch als Selbstvergewisserung dient.
Angesichts des Horrors auf unseren Screens kann man sich entweder komplett ins Rabbithole begeben, oder sich komplett abwenden von den Nachrichten, und eine Art Hedonismus des Nichtwissens und Nichtwissenwollens umarmen, in Gedanken oder eben in Plüschform. Und beides sind Strategien, die ich irgendwie nachvollziehen kann. Aber vielleicht gibt es ja auch einen anderen Weg.
Letztes Wochenende war ich in Wien beim Popfest, einem kostenlosen Festival mitten in der Stadt. Von Donnerstag bis Sonntag spielten auf mehreren Bühnen auf einem der repräsentativsten Plätze der österreichischen Hauptstadt zwischen Museen, Uni und repräsentativer Kirche Dutzende österreichische Bands. Kuratiert wird die Sause jedes Jahr von anderen Künstler:innen, dieses Jahr zum Beispiel von Verifiziert und Pauls Jets, und deckt ein breites Spektrum aus der österreichischen Musikwelt ab. Und so unterschiedlich war auch das Publikum: vor allem jung, aber nicht ausschließlich, und diverser als so ziemlich jedes andere Festival, dass ich in den letzten Jahren besucht habe. Da waren junge Gen-Alpha-Bros konfrontiert mit feministischer Experimentalelectronica, Chayas mit alten Helden wie Kreisky und alte Indierecken mit Liam-Gallagher-Gedächtnisfrise mit local Popsternchen wie Eli Preiss.
Wie komme ich von Labubus und Nachrichtenoverkill jetzt darauf? Ich bin durch die Menge gelaufen und war geflasht, Mainstreampop und Indieartists, Newcomer wie The Zew und etablierte Artists wie LGoony und Crack Ignaz – und das alles wie niedrigschwellig für die Stadtgesellschaft zugänglich. Keine Anmeldungen, kein Geld, kein Konsumzwang, nicht mal viele Zäune oder andere Zugangsbeschränkungen für die Hauptbühne. Es war ein Raum zur Zusammenkunft, ein Zugang zu Kultur, und zwar wirklich für alle. Ich glaube, genau das brauchen wir auch gerade jetzt ganz dringend: einen Grund aus dem Haus zu kommen, mit anderen Menschen in Räumen zu stehen, Pop und Kunst zu erleben. Gerade jetzt, wo angesichts steigender Preise und fallender Förderungen Kultur immer weniger Menschen zugänglich wird, und wir immer einsamer vor unseren Screens versinken. Die Welt retten wird ein Konzertabend nicht – aber vielleicht das tun, was Kunst am allerbesten kann: uns an unsere Menschlichkeit erinnern.



