Kolumne

Aidas Popkolumne: AI killed the Music Star?

The Velvet Sundown: Ist die Behauptung, sie seien eine „künstlerische Provokation“ nur eine billige Ausrede? Aida ist wütend.

Leute, wir müssen doch noch darüber reden: die KI-generierte „Band“ The Velvet Sundown. Ja, ich habe auch keine Lust mehr, über so genannte „künstliche Intelligenz“ zu sprechen, aber wir kommen ja nicht drumherum. Das ist jetzt unsere neue Realität. Und wir können wahrscheinlich keine Playlisten auf Streamingplattformen mehr hören, ohne im Zweifelsfall irgendeine mit Suno oder irgendeinem anderen Programm erstellte Musik zu hören.

Ende Juni ist die mysteriöse „Band“ plötzlich steil gegangen, sie wahren in beliebten Playlisten zu finden und hatten dadurch wie aus dem Nichts plötzlich Hunderttausende Hörer*innen. Nur schauten die Fotos verdächtig nach KI aus – und die Musik auch, wenn man genauer hinhörte. Die Instrumente zu blechig, wie mit schlechten Mp3 aufgenommen, der Gesang zu Dada, aber vage emotionalisierend. Aber seien wir ehrlich: wer hört schon so richtig genau hin, gerade wenn man so eine von der Streamingplattform seiner Wahl erstellte vibey 70s-Playlist durchläuft? Sie erinnern an Khruangbin in schlecht, dazu seltsam wirkte die Band, aber hey, für den Hintergrund reicht’s.

Hörer*innenzahlen gehen nach oben

The Velvet Sundown haben dann nach dem kleinen Skandal auch in ihrer Bio auf den Plattformen letzte Woche dann doch „zugegeben“ eine „synthetische“ Band zu sein. Das sei ja alles ein künstlerisches Experiment und Provokation – die liebte und billigste Ausrede, die Leute bringen, wenn sie bei einer moralisch fragwürdigen Aktion erwischt wurden. Nicht wahr Sophia Thomalla und Mickey Beisenherz? Geschadet hat die Enthüllung den Menschen hinter The Velvet Sundown übrigens bislang nicht: Die Hörer*innenzahlen sind erst einmal nach oben gegangen. Vielleicht aus Neugierde – vielleicht, weil dem Publikum Musik und Musiker*innen letztendlich vielleicht letztendlich doch egal sind.

Aber The Velvet Sundown ist bei Weitem nicht die einzige KI-„Band“. Es ist nur eine, bei der es Stress gegeben hat. Vielleicht, weil es einfach zu dreist ist, eine Band zu erfinden, eine Identität zu erfinden, Schweiß und Mühen in Proberäumen und auf Open Mikes zu suggerieren, wenn da nichts ist außer Einsen und Nullen. Vor knapp zwei Monaten habe ich für ein Radiostück schon zum Thema gearbeitet. Damals meinte Peter Gruse, Mitgründer des stilbildenden Berliner Indielabels Sinnbus noch, das Bands und das Liveerlebnis, das sie schaffen, vielleicht das einzige sein wird, was dem Aufkommen von KI noch wird trotzen können. Und dann kam The Velvet Sundown.

Die Journalistin Liz Pelly hat diesen Januar nach Jahren der Recherche ihr Buch „Mood Machine“ veröffentlicht, in dem es auch viel um Spotifys Einsatz von „Ghost Artists“ geht, gerade im Bereich Jazz oder Lo-Fi. Bei ihrer Recherche allerdings ging es vor allem noch um Musik, die zwar von echten Musiker*innen geschrieben wurde, die aber alle Rechte an Musikverlage oder an Spotify direkt verkauft haben. Diese veröffentlichten die Tracks dann unter erfundenen Namen und oft auch mit erfundenen Labels. Warum? So wurden keine Tantiemen und Rechte fällig. Und Künstler*innen, die unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen und ihre eigenen Rechte an ihrer Musik halten, haben es nochmal schwerer, Aufmerksamkeit zu bekommen.

Country als KI-Produkt

Seitdem muss man nicht mal mehr irgendwelche Musiker*innen für bocklos geschriebene Kompositionen bezahlen, die einfach nur den Playlisten füllen sollen, die eh im Hintergrund laufen. Jetzt geht das alles auch mit Musikgeneratoren. Mittlerweile, so schätzen Expert*innen, könnte bis zu 20% der Musik auf den Streamingplattformen KI-generiert sein. Und letzten Sommer ging ja schon der rassistische KI-Song „Verliebt in einen Talahon“ so viral, dass er es sogar in die Charts geschafft hat. Das war noch eine Ausnahme und ein Shock – aber wie lang noch?

Ich bin letzte Woche bei der Recherche zu The Velvet Sundown in ein Rabbithole gefallen, aus dem ich nur mit Mühe rausklettern konnte. Gerade im Country-Bereich findet man eine nicht enden wollende Anzahl an angeblich „neuen“ „Bands“, die angeblich allein innerhalb dieses Jahres teils Dutzende „neue“ Alben veröffentlicht haben. Wie Velvet Sundown sind viele von denen auf Spotify sogar verifiziert, nur: Was heißt Verifikation dann noch? Sogar John Oliver hat eine von ihnen vor ein paar Wochen in seiner Late-Night-Show „Last Week Tonight“ erwähnt. Eine andere Countryrock-Band aus der Retorte, The Devil Inside, ist zum Beispiel in Berlin besonders erfolgreich mit 10.000 Hörer*innen im letzten Monat. Wie viele Leute, die mir in der U-Bahn gegenüber sitzen, nicken gerade mit ihrem Kopf zu einem Track, den mit einer KI generiert wurde?

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Für uns als Hörer*innen bedeutete das, dass wir alle immer mehr in unseren eigenen Bubbles gefangen sind, anstatt dass es Musik gibt, auf die wir uns alle einigen könnten. Die Musikjournalistin Melanie Gollin vom Newsletter „Zwischen 2 und 4“ spricht davon, dass wir keinen gemeinsamen Kanon mehr haben würden. Und das stimmt: Je schneller sich Tracks generieren lassen, desto eher kommen wir in eine Welt, in der uns der Algo immer mehr von dem vorsetzt, was wir eben schon gehört haben und was uns zu gefallen scheint. Der Musiker und Konzeptkünstler Valentin Hansen experimentiert schon damit: Einige Monate lang lief sein Projekt „max“, bei dem alle zwei Minuten ein Song generiert wurde, der nach ihm klang. 700 Songs am Tag, alle automatisiert auf die Streamingplattform übertragen und auf Tape festgehalten, für das analoge Feel. So viel Musik kann natürlich niemand auf der Welt jemals konsumieren, und vielleicht ging’s auch genau darum. Dieses Wochenende ging es zu Ende – und der gesamte Katalog ist gelöscht. Ein weirdes Gefühl bleibt aber über, wenn man etwa daran denkt, wie viele Ressourcen KI auffrisst. Nachdenklich stimmt es aber auf jeden Fall. Was ist schon überhaupt „echt“?

Timbaland kopiert Fela Kuti

Valentin Hansen hat sich für ein künstlerisches Projekt selbst zigtausendfach kopiert, das ist eine Sache. Aber KI-Musik, die nicht aus künstlerischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen geschaffen wurde, was ist damit? Auch sie kopiert, und zwar immer von dem was war, von dem musikalischen Erbe der Welt. Timbaland, der in den letzten Jahren einen eher whacken künstlerischen Weg eingeschlagen hat, hat zum Beispiel ein Afrobeat-inspiriertes Album veröffentlicht.

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Warum? Wozu? Und was bedeutet das moralisch, wenn er und andere Producer musikalischem Nachwuchs, insbesondere aus marginalisierten Communities, keine Chance mehr geben? Insbesondere wenn es beispielsweise um den von Fela Kuti maßgeblich mitgeschaffenen, politischen nigerianischen Afrobeat geht? Die Maschine wird und wurde mit Musik von Künstler*innen gefüttert, die aber für ihre geistige Arbeit und ihren Anteil am „Wissen“ der KI nicht entlohnt werden.

Ein Satz, den ich in der Bio von The Devil Inside gelesen habe, hängt mir nach: „Die Songs basieren auf echter kreativer Inspiration, die Charaktere sind illustriert“ – was bedeutet „kreative Inspiration“ noch, wenn Prompts und Kopie alles sind, was von der Musik bleibt?