„Einfach mitgedacht werden“: Linus Volkmanns Kolumne über Inklusion in der Popkultur
Beim Thema Inklusion geht es um mehr als Rampen, es geht um Repräsentation, es geht um offene Arme.
„Inclusion, inclusive, inclusiveness, inclusivity“ – diese Wörter finden sich auf einer umfangreichen Liste der aktuellen US-Administration. Es handelt sich dabei nicht etwa um Zielsetzungen, sondern um keywords, die aus Behördenkommunikation und offiziellen Dokumenten (und am liebsten ganz aus dem öffentlichen Leben) verbannt werden sollen. Genauso betroffen sind übrigens Begriffe wie „Feminismus“, „Trans“ oder auch „Geschlechtergerechtigkeit“. Nervt, soll alles ausradiert werden. Was klingt wie der Plot eines schlechten Sci-Fi-Films, ist einfach nur das Jahr 2025. Herzlich willkommen, ihr kennt den Scheiß ja selbst. Nachdem man sich über Jahre das Gejammer von Rechten über eine vermeintliche Cancel-Kultur und eingeschränkte Meinungsfreiheit anhören musste, ist man nun damit konfrontiert, dass die Rechten selbst an der Macht das Thema Zensur tatsächlich real werden lassen. Im öffentlichen Diskurs heißt das heute euphemistisch „Kulturkampf“, in der privaten Wahrnehmung erscheint es vor allem aber beunruhigend und asozial.
Nichtsdestotrotz wurde das Thema Inklusion gerade auch im hiesigen Musikbetrieb in den vergangenen Jahren immer weiter in den Fokus gerückt. Selbst der eher innovationsresistente Open-Air-Primus Rock am Ring verkündet, ab 2026 mit der Initiative „Inklusion muss laut sein“ zusammenzuarbeiten, „um Barrieren für Besucher:innen mit den unterschiedlichsten Behinderungen abzubauen“. Word up, denn man sollte niemals vergessen, Musik wird auch noch spielen, wenn Horrorclowns in höchsten US-Ämtern und sonstwo längst in der Hölle schmoren. Mal ganz wertfrei formuliert.
Disclaimer
Persönlich verbindet mich mit dem Thema gar nicht so sehr, einst ISB (Individuelle Schwerst-Behinderten-Betreuung) im Zivildienst gemacht zu haben, sondern dass ich in einer Redaktion lange Jahre eng mit einer behinderten Person zusammengearbeitet habe, die auf den Rollstuhl und eine durchgehende Assistenz benötigte. Die Beeinträchtigung beschränkte sich aufs Körperliche und die Person besaß stets großes Interesse, an dem ganzen Popkultur-Kram auch selbst teilzuhaben, der in jenem Musikmagazin verhandelte wurde. Verständlich. Denn Konzerte und Festivals zu besuchen, ist was anderes, als bloß die Texte dazu zu redigieren.
Regelmäßig mit Rollstuhlfahrer:innen unterwegs zu sein, dürfte für Menschen ohne Einschränkungen eine der simpelsten Möglichkeiten darstellen, um konkret die Tiefe hinter einem Konzept wie „Barrierefreiheit“ zu erfassen. Denn gerade in der Club- und Festivalkultur ist vieles eben nicht für alle zugänglich. Solche Einblicke machen mich natürlich nicht zu einem Experten, daher kommen in dieser Kolumne zwei Betroffene zu Wort, Felix Brückner von der Band FHEELS und der „Initiative Barrierefrei Feiern“ sowie Johann Bonitz von Blond.
Ich möchte hiermit gerade auch angesichts der beunruhigenden, eingangs erwähnten Entwicklungen in dieser Kolumne für Inklusion werben. Allerdings ergibt sich aus den hier exemplarisch gesammelten Acts mit Behinderungen auch einfach ein sehr schöner Sound. Es geht um Sichtbarkeit, es geht um Musik. Für alle und von allen.
Einschränkungen und tolle Musik – eine kleine Liste
Staff Benda Bilili
Für die internationale Berühmtheit von Staff Benda Bilili aus Kinshasa (Republik Kongo) ist eine Doku der Startschuss gewesen. Die Band ging hervor aus einem Straßenmusiker-Projekt von Menschen, die unter den Auswirkungen von Polio-Infektionen litten und mitunter auf selbstgebaute Rollstühle angewiesen waren. Die körperlichen Einschränkungen von Staff Benda Bilili sind geblieben, der Erfolg der Musik aber hat sie längst von der Straße geholt.
PS: Polio gilt heute übrigens quasi als ausgerottet, es wird befürchtet, dass das Einstampfen der Hilfsorganisation USAID durch die Trump-Regierung zu einem Wiederaufflammen solcher Infektionskrankheiten gerade in Afrika führen wird.
Station 17
Das legendäre Projekt Station 17 aus Hamburg verbindet Musiker mit und ohne Behinderung. Ihr elektronischer Krautrock besticht seit Jahrzehnten mit Witz und Gelassenheit. Das Bandgefüge ist über die Zeit fluide, die Idee und der Sound dahinter blieben stets stabil.

Laura Glauber / Lauraine
Lauraine, das ist euphorischer Synth-Pop, der zwischen Ekstase und Emotionen flimmert. Musikalisch ein toller Tipp, den ich von der Rapperin Finna erhalten habe, aber da die Sängerin Laura auch als Aktivistin für Inklusion auftritt, nehme ich die Empfehlung hier gern dazu. Laura trägt ein sogenannte Orthese und kam nach der Bandgründung im Coronajahr 2020 schnell auf den Punkt, dass es ihr und anderen etwas bringt, damit auch als Künstlerin offen umzugehen. Das Bandlogo von Lauraine ist übrigens in Brailleschrift (einer Schrift Blinde und Sehbehinderte) gehalten. Mehr von ihr und der Band findet sich unter anderem hier auf Instagram.
Pertti Kurikan Nimipäivät
Wie schon Staff Benda Bilili erlangte auch die finnische Band Pertti Kurikan Nimipäivät Bekanntheit durch die preisgekrönte Dokumentation: „The Punk Syndrome“. Sami Helle beschreibt darin die eigene Gruppe folgendermaßen: „Die Mitglieder unserer Band sind vier Männer mittleren Alters mit geistiger Behinderung. Die Musik ist – natürlich – finnischer Punk.“ 2015 gewannen PNK dann den nationalen Vorentscheid des ESC und vertraten Finnland im Wettbewerb mit dem Song „Aina mun pitää“.
FHEELS
Vor etlichen Jahren bin ich Felix von FHEELS auf dem Podium des sehr wachen Festivals „Operation Ton“ in Hamburg begegnet. Seit dem verfolge ich sein Engagement wie auch seine Band. FHEELS machen schwelgerischen, dramatischen Alternative Rock. Felix spielt Gitarre und singt bei der Band, er hatte nach einem Snowboardingunfall eine Querschnittslähmung erlitten und nutzt seitdem einen Rollstuhl. Neben der Musik liegt ihm das Thema Inklusion am Herzen, er ist Teil der „Initiative Barrierefrei Feiern“. Hierbei handelt es sich um eine Selbstvertretungsagentur, die Veranstaltende beim Thema inklusiver Kulturarbeit berät.
Ich habe ihn um ein paar O-Töne gebeten. Give a warm hand to Felix Brückner von FHEELS …
Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich, aber was würdest du sagen, brauchen Veranstaltungsorte, um inklusiver zu sein und Menschen mit Einschränkungen nicht gleich abzuschrecken?
FELIX: Sie müssen anfangen, Menschen mit Behinderung das Gefühl des Willkommenseins zu vermitteln. Das Gefühl des „Ihr könnt euch bei uns sicher fühlen“, was gar nicht unbedingt mit einer top barrierefreien Umgebung einhergehen muss. Es ist wie so oft die Sprache, die Kommunikation. Veranstaltende, die FAQs zum Thema Barrierefreiheit formulieren, die in ihrer Social-Media-Arbeit Features wie Bildbeschreibungen nutzen, die sich über ein barrierefreies Ticketingsystem Gedanken machen, vermitteln dieses Gefühl. Für uns als Gruppe von Menschen, die sich nie daran gewöhnen konnten, selbstverständlicher Teil des kulturellen Lebens zu sein, ist das von großer Bedeutung und senkt die Hemmschwelle, auf Veranstaltungen zu gehen. Grundlage dafür ist es natürlich, uns mitzudenken und barrierefrei nicht mit rollstuhlgerecht zu verwechseln. Nur circa 15 Prozent der Menschen mit Behinderung sind Rollstuhlnutzende.
Wie siehst du die Entwicklung beim Thema Pop und Inklusion in den letzten Jahren? Gibt es mehr Awareness und konkrete Projekte – oder versandet es in Lippenbekenntnissen und Podiumsdiskussionen?
FELIX: Wir sind bis auf wenige Ausnahmen noch damit beschäftigt, ein Mindestmaß an Barrierefreiheit zu etablieren, und das meist auch nur für Gäste mit Behinderung. Für den Lebensraum für Künstler:innen mit Behinderung sieht es noch einmal ungleich schlechter aus. Solang das der Ist-Zustand ist, sind wir noch weit weg von Inklusion. Wenn man optimistisch sein möchte, könnte man sagen, dass es positive Tendenzen gibt. Diese sind aber vielleicht schon mit dem Wegfall von Fördermitteln im nächsten Jahr wieder verschwunden. Tatsächlich ist es so, dass viel von Diversität gesprochen wird, die verschiedenen Aspekte dann aber oft aufgrund finanzieller Gründe in Konkurrenz zueinander treten. Inklusion als „Old School Aspekt“ unter den Diversitätsforderungen wird dann oft als Letztes mitgedacht. Ähnlich verhält es sich im Diskurs über soziale Nachhaltigkeit.
Was ist gerade los bei FHEELS? Euer Album „Lotus“ ist nun schon wieder ein paar Jahre her.
FELIX: Wir kommen gerade von den letzten Festivals und werden den Herbst/Winter für unser neues Album nutzen. Die größte Herausforderung, und die teilen wir mit vielen anderen Bands, wird die Finanzierung des Ganzen sein. Gefühlt verdienen, oder zumindest verlangen, nach Corona alle in der Musikwirtschaft mehr Geld, aber die Gagen steigen nicht.
Tomoka Igari / Kamen Joshi
Die Band Kamen Joshi stellt eine Ikone des female J-Pops dar. Die sieben Mitglieder tragen gemeinhin Masken – auch Tomoka Igari. Dennoch kann man sie in den grellen Videos sofort erkennen, sie sitzt nämlich in einem (ziemlich futuristischen) Rollstuhl. Als die Popkarriere der Band 2014 begann, war das noch nicht so. Eine Querschnittslähmung im Jahr 2018 hielt sie allerdings nicht davon ab, weiter mit Kamen Joshi zu performen. Heute fungiert Tomoka Igari beispielsweise auch als Botschafterin bei den Paralympics.
Eric Howk / Portugal. The Man
Wie notwendig das Engagement, Clubs und Festivals barrierefreier zu gestalten, weiß Eric Howk sehr gut. Der Gitarrist von Portugal. The Man ist seit einem Unfall im Jahre 2007 Paraplegiker. Als er sich wieder auf Bühnen wagt, muss er feststellen, dass gar nicht der Gig selbst, sondern der Weg dahin die größte Herausforderung darstellt. Die Band rief daraufhin das Projekt „PTM Night Out“ ins Leben, eine Veranstaltungsreihe, die auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen die Möglichkeit bieten will, an einem Live-Erlebnis zu partizipieren. Eric Howk nennt es: „Representation on stage. Representation in the audience.“
Johann Bonitz / Blond
Johann Bonitz wechselt live zwischen Bass, Gitarre und Keyboard bei der Chemnitzer Band Blond. Er ist von Geburt an blind und mit seiner selbstverständlichen Art zu einem äußerst lässigen Protagonisten der Inklusion geworden. Oder um es mit seinen Worten aus dem Song „Oberkörperfrei“ zu sagen:
„Skills wie Superman / Ich komm‘ mit ‚nem Roundhouse-Kick / Ich muss dich nicht sehen / um zu wissen, dass du ein Lappen bist.“
Vor einiger Zeit hatte ich die Möglichkeit, ihn, Lotta und Nina Kummer zu interviewen. Wir streiften auch das Thema Barrierefreiheit – mit Johanns Worten möchte ich die Kolumne hier abschließen.
Johann, wie sind deine Erfahrungen als Blinder mit der Clubwelt? Gibt es gute und schlechte Läden oder ist jede neue Location letztlich dieselbe Herausforderung?
JOHANN: Für mich ist das nicht so sehr ein Problem, weil ich in meiner Bewegungsfreiheit nicht wirklich eingeschränkt bin. Man möchte es vielleicht nicht denken, aber ich kann eine Treppe hoch- und runterlaufen. Ich bin angewiesen auf Begleitung, also jemand muss Bock haben, mit mir rumzulaufen, aber das ist zum Glück der Fall. Wo ich auf Grenzen stoße, ist zum Beispiel beim Getränke bestellen, denn die Karte liegt in den allermeisten Fällen nicht in Blindenschrift vor. Das sind sicher Dinge, die man ändern könnte, so dass ein blinder Mensch nicht immer wieder gezwungen ist zu fragen. Und jetzt fällt mir noch eine weitere Sache ein, dass immer mehr große Festivals eigene Apps für ihre Veranstaltung haben mit allen Informationen und so – und da wird leider auch nicht drauf geachtet, dass die für Bildschirmleseprogramme, wie man sie als blinde Person verwendet, nutzbar ist. Gibt doch schon einige Punkte dahingehend, da könnte man ein eigenes Thema draus machen…
Gab es für dich blinde Rolemodels, als du angefangen hast?
JOHANN: Nein, da kann ich mich nicht erinnern, obwohl ich ja durch einige Genres gewandelt bin. Aber es gab keinen Blinden, der für mich Vorbild fungiert hat. Allerdings bin ich mir bewusst, dass ich selbst für andere diese Rolle erfülle, weil ich eben auf der Bühne stehe – und das bedeutet mir etwas. Also dass Leute sagen können: „Geil, wie du das einfach durchziehst!“
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.




