Lil Nas X & mentale Gesundheit: Debatte um Reaktionen & Privatsphäre
Lil Nas X gerät nach öffentlichem Zusammenbruch in den Fokus der Debatte über den Umgang der Öffentlichkeit mit Stars und mentaler Gesundheit
Montero Lamar Hill, der Welt bekannt als Rapper Lil Nas X, erlebte Ende August laut eigenen Angaben „furchterregende Tage“, nachdem er wirr und halbnackt auf den Straßen von Los Angeles entdeckt, gefilmt und dann verhaftet wurde. In den Sozialen Medien hat der Vorfall für Aufruhr gesorgt. Der Umgang mit Menschen, deren mentale Gesundheit in Mitleidenschaft gezogen wurde, wird stark kritisiert.
Der virale Clip mit Lil Nas X: Ereignisse in Studio City und die weiteren Folgen
Das Video ging viral: Montero Hill trug lediglich eine Unterhose und seine Cowboy-Stiefel, als er durch Studio City wandelte. Die Insassen eines vorbeifahrenden Autos entdeckten den Sänger und hielten die Kamera auf ihn, statt direkt den Notruf zu wählen. Hill sprach in inkohärenten Sätzen und war sichtlich benommen, als eine Person sich trotz seines Zustandes neben dem Rapper ablichten ließ.
Erst nachdem zahlreiche Aufnahmen von Hill gemacht wurden, verständigte man die Polizei. Diese versuchte, Hill in Gewahrsam zu bringen, war jedoch nicht auf den augenscheinlich psychotischen Zustand des Künstlers vorbereitet. Als dieser sich auf die Beamt:innen zubewegte, entschieden sie sich dazu, den 26-Jährigen zu Boden zu tasern. Angeblich habe der Sänger die Polizist:innen angegriffen, laut Los Angeles Police Department (LAPD) wurden dabei drei Personen verletzt.
Hill wurde daraufhin wegen vermuteten Drogenmissbrauchs und des Verdachts auf Körperverletzung für vier Tage ins Gefängnis gebracht. Die Staatsanwaltschaft erhob daraufhin Anklage wegen körperlicher Gewalt gegen Polizeibeamt:innen und der Widerstand gegen eine:n Vollstreckungsbeamt:in. Bei seiner Vorführung vor Gericht am 25. August plädierte Montero Hill in allen vier Anklagepunkten auf nicht schuldig.
Am 15. September muss er aber erneut vor Gericht erscheinen und ist bis dahin verpflichtet, an Treffen der Selbsthilfegruppe Anonymous Narcotics teilzunehmen. Sollte der Rapper in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft in einem Staatsgefängnis.
Doch wurden damit alle anderen aus der Verantwortung gezogen?
Kritik am Voyeurismus: Verantwortung der Zuschauenden
Die Kritik, die nun im Netz auftaucht, ist umfangreich. So schreibt etwa der Podcaster und Aktivist, Matt Bernstein: „Es gibt keine Grenzen für das, was wir bereit sind von Künstler:innen zu verlangen – insbesondere von Schwarzen Künstler:innen, noch mehr von queeren Künstler:innen.“ Die Personen, die Montero in der Nacht seiner Verhaftung filmten, seien in der Verantwortung gewesen. Sie hätten dem Menschen in Not helfen sollen, statt den Promi bloßzustellen, der sich ihnen dort so verwundbar präsentierte.
Der Verkauf der Videos an „TMZ“ und ihre mediale Ausschlachtung zeigen für Bernstein die Verantwortungslosigkeit der Öffentlichkeit: „Wenn wir die Kunst und Musik dieser Menschen konsumieren, müssen wir auch dafür sorgen, dass Vorfälle wie der von Lil Nas X gar nicht erst passieren“, schreibt er. „Wir konsumieren und diskutieren jedes Detail ihres Lebens, melken sie aus und machen Memes, um jeden letzten Tropfen Profit herauszuholen. Und wenn sie schließlich zusammenbrechen, starren wir sie an, filmen sie, verkaufen das Filmmaterial und stecken sie hinter Gitter, weil sie von einer Kultur, die sie nicht als Menschen betrachtet, ausgelaugt sind.“
Journalist Touré Neblett äußert sich ebenfalls kritisch gegenüber der Kriminalisierung von mentaler Gesundheit in der Popkultur. Die US-amerikanische Polizei hat in seinen Augen nicht die professionelle Expertise, um mit Fällen dieser Art umzugehen und gleichzeitig zu viel Handlungsspielraum. Die Einweisung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ins Gefängnis sei unverhältnismäßig: „Wenn man jemanden, der eine psychische Episode hat, ins Gefängnis bringt, ist das traumatisierend. Das könnte für den Rest seines Lebens gefährlich sein und die Situation weitaus schlimmer machen, als sie sein müsste.“
Der Vater von Lil Nas X, Robert Stafford, verwies in einem Interview mit „Sunday Times“ auf den öffentlichen und privaten Druck, unter dem sein Sohn stehe. Einerseits trage Montero die finanzielle Verantwortung für seine Familie, zudem leide der zweifache Grammy-Gewinner angeblich unter der Drogenabhängigkeit seiner Mutter. „Ich verstehe, wie das Musikgeschäft funktioniert. Man liebt diesen Rausch und will ihn wieder haben. Aber als 26-Jähriger mit all dem zu kämpfen, was ihn belastet … da würde jede:r zusammenbrechen. Der Unterschied ist nur der, dass seiner vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet.“ Stafford gab auch die Sichtweise seines Sohnes wieder: „Als ich ihn besuchte, bat er mich, allen zu sagen, dass es ihm leid tut, dass sie ihn so gesehen haben. Selbst in diesem Moment entschuldigte er sich bei den Menschen für etwas, das er gerade durchmachte.“
Mentale Gesundheit & Druck: Medienkonsum und Unterstützung
Personen des öffentlichen Lebens stünden ständig unter der Beobachtung der Öffentlichkeit, jeder Fehltritt könne der letzte in der Karriere sein, so Matt Bernstein. Er attestiert dabei besonders queeren Künstler:innen und People of Color eine größere Belastung, da diese schon aufgrund ihrer nicht-heteronormativen Lebensweise zur Zielscheibe für Kritik werden würden. „Homosexuelle Männer leiden häufiger unter psychischen Problemen wie Stimmungsstörungen, Drogenmissbrauch und Selbstmordgedanken als heterosexuelle Männer“, heißt es auch in einem Bericht der American Psychiatric Association aus dem Jahr 2018. Die Journalistin Mey Rudi äußert sich in einem Artikel beim „Out Magazine“ explizit über die Kriminalisierung mentaler Erkrankungen bei queeren und Schwarzen Personen: „Wenn diese Menschen psychische Notfälle haben, werden sie nicht als Gesundheitsproblem behandelt, sondern kriminalisiert“. Sie verweist auf Ivo Otieno, der 2023 während einer manischen Episode zuerst ins Gefängnis gebracht und dann auf Geheiß der Familie in eine staatliche Psychiatrie verlegt wurde. Während des Aufnahmeprozesses aber starb er unter Einfluss von Polizeigewalt. Aufnahmen vom Geschehen zeigten ihn mit Handschellen und Fußfesseln zu Boden gedrückt, auf seiner Brust knieten Krankenhausmitarbeiter und Hilfssheriffs, bis er letztlich erstickte.
Auf dieser Grundlage fordert Matt Bernstein etwa, alle Anklagepunkte fallen zu lassen, die aus einer Auseinandersetzung entstanden sind, die seiner Ansicht nach die Polizist:innen selbst eskalierten. Neblett spricht sich für eine Defundierung der Polizei in Städten wie Los Angeles oder New York aus, damit diese Gelder für spezielle Einheiten genutzt werden können, die im Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgebildet sind.
Queere Repräsentation und Stigmatisierung: Lil Nas X im Diskurs
Der Fall um Montero Hill wirft insofern erneut Fragen zum Verhältnis zwischen queeren Künstler:innen, psychischer Gesundheit und dem US-amerikanischen Rechtssystem auf. Diese Entwicklung verdeutlicht die besonderen Belastungen, denen queere Künstler:innen ausgesetzt sind.
So berichtete beispielsweise auch Sänger:in Sam Smith, welche:r sich 2019 als non-binär öffnete, von massiven Hasskommentaren – online, wie auch im auf der Straße. In einem Interview mit Zane Lowe erzählt er: „Ich glaube, die einzigen negativen Aspekte dieses Kampfes waren mein öffentliches Leben. Die Menge an Hass, der mir entgegengebracht wurde, war einfach nur anstrengend. Es war ja nicht so, als hätte ich mich selbst gegoogelt, sondern es war in den verdammten Nachrichten!“
Als einer der wenigen offen schwulen Rapper im Mainstream-HipHop hat Lil Nas X nicht nur künstlerische Barrieren durchbrochen, sondern auch persönlich einen hohen Preis bezahlt. Seine Verhaftung kommt, nachdem offengelegt wurde, dass er mit mentalen Probleme zu kämpfen habe. Im April 2025 berichtete er auf Instagram über eine Gesichtslähmung, später musste er seinen Gig beim Outloud Pride Music Festival absagen. Sein Team sprach damals von „andauernden medizinischen Problemen“, Hill selbst betonte: „Nach meinem Krankenhausaufenthalt muss ich meine Gesundheit priorisieren.“
Standpunkte der Fans von Lil Nas X: Forderungen nach Fairness und Unterstützung
In der Vergangenheit hatte sich Montero Hill mehrfach gegen Disrkiminierung auf Basis seiner Sexualität behaupten müssen. In seiner Community zählt der Musiker als Vorbild. So erhielt er im Februar 2025 etwa von The Trevor Project, einer Organisation zur Suizidprävention für LGBTQ+-Personen, den „Suicide Prevention Advocate of the Year Award“. Die Jury würdigte sein Engagement für mentale Gesundheit, die Offenheit über seine eigenen Kämpfe und seine Unterstützung für junge, queere Menschen. Fans empfinden es als falsch, dass ausgerechnet dieser Advokat aktuell medial zerrissen wird.
Eine Person schreibt etwa: „Wir behaupten, uns um die psychische Gesundheit zu kümmern, aber wir haben als Gesellschaft kläglich versagt, emotional sichere Umgebungen zu fördern, die Menschen mit psychischen Erkrankungen angemessen unterstützen. Es ist uns nicht gelungen, eine gesunde Kultur zu entwickeln, die die unbequeme Wahrheit über psychische Erkrankungen akzeptiert“. Weitere Menschen äußern sich besorgt, die meisten aber sind schockiert über den Umgang mit Montero Hill: „Ob prominent oder nicht: Wenn man jemanden sieht, der offensichtlich unter Drogen steht oder einen Nervenzusammenbruch hat, warum wollen dann so viele Menschen ihn sofort filmen und sich über ihn lustig machen, anstatt ihm zu helfen?“
Es bleibt offen, inwieweit die Bemühungen der Öffentlichkeit etwas am Fall um Lil Nas X bewegen können. Bis zu seinem nächsten Gerichtstermin am 15.September wird sich der Rapper wohl aber zurückziehen und sich im Beisein seiner Familie erholen.


